Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
ohne Schaden fahren können.
    Dir könnt euch denken, wie ich erstaunte, als ich in gewaltiger Höhe über dem Sims der Portale in mannshohen Goldbuchstaben die Inschrift las: Dieser Tempel Gottes ist eine genaue Nachbildung von St. Peter zu Rom in doppelter Größe!
    Die Privatleute glaubten wohl, daß ihr Gott die himmlischen Dividenden nach der Masse seines irdischen Besitzes verteilte.
    Die Altäre und Heiligenbilder im Innern verschwammen zu riesenhaften und bedeutungslosen Farbflecken. Zwischen den Pfeilern ragten erleuchtete Glastafeln, über die fortwährend Zahlen und Buchstaben hinliefen. Vor ihnen standen in kleinen Gruppen Private und notierten sich diese Zeichen in ihre Merkbücher.
    Ich fand es sonderbar, daß sie so gewissenhaft die Gesangbuchverse für das ganze nächste Jahr nachschrieben.
    Später wußte ich, daß über die schimmernden Tafeln die Börsenkurse der ganzen Welt promenierten.
    Die Privaten verstanden es, Erbauung und Geschäft zu verbinden.
    Aus der Kuppel tönte plötzlich ein liebliches Orgelvorspiel. Als es schwieg, rief eine weiche, wohlklingende Stimme herab:
    »Wenn du dich nach dem Paradiese sehnst, so besuche heute abend das neueste Varieteprogramm in der Alhambra.«
    Da wußte ich ja nun Bescheid.
    Ich winkte mir ein Auto und fuhr ins Hotel zurück, um mich am Nachmittag für den Abend auszuschlafen.
     
17
     
    In der Alhambra ging es ungefähr so zu, wie bei uns in sogenannten Gesellschaftsfilmen. Sektlogen, ein Tanzparkett aus poliertem, von unten her durchleuchtetem Rosenquarz, ein Nigger-Orchester von mindestens hundert Köpfen. Auf der Bühne spielten sich in zauberhaften Lichteffekten (und das hatten sie heraus, die Utopier) revueartige Szenen ab. Nackte Mädchen herrschten vor, aber auch geschminkte Jünglinge stellten schwüle Akte. Dieser tolle und lautlose Lustbetrieb, der sich in funkelnden Lichtwellen badete, schien indessen keinen Eindruck mehr zu machen. Nur flüchtig wandte sich hie und da ein Kopf nach der Bühne. Beifall war nicht Sitte. Ich glaubte manchmal, unter kolorierten Gespenstern zu sitzen. Die Herren trugen Frack. Die mehrpfündigen Orden lagen neben ihnen auf kleinen, samtüberzogenen Tischen. Wenn Polizeikontrolle nahte, ertönte ein Sirenenschrei und man hängte sich die schweren Vögel eiligst um den Hals. Die Damen … na, ich danke. Violett geschminkte Gesichter ohne Augenbrauen, brandrot gemalte Lippen, die Ekel und Langeweile an den Winkeln herabzogen. Nackte, nie befriedigte Lüsternheit machte ihre Züge gemein und roh. Was kann hinter diesen eitlen Stirnen wohnen, als wilde Ichsucht, Grausamkeit und zügello se Begierde, sagte ich mir voll Schauder. Die wenigen Kleiderfetzen dienten lediglich dazu, die Reize dieser Schaufensterpuppen herauszustreichen. Sie waren mit Brillanten und Perlen übersät.
    Die neueste Mode forderte, über der linken Brustwarze einen nußgroßen Rubin zu tragen, der unmittelbar über der Haut festsaß. Zu diesem Zweck mußte ein Geflecht von Platindrähten in die Haut einwachsen. Wie man mir versicherte, eine äußerst schmerzhafte Operation. Dafür erweckten die stattlicheren Damen der Gesellschaft den Eindruck von Schnellzugs-Lokomotiven mit Spitzkühler und roter Signallaterne.
    Von diesen Einzelheiten abgesehen, hielt sich der Verkehr etwa in den Grenzen einer »mondänen« Vergnügungsstätte der alten Welt. Man trank Sekt und schwere, eisgekühlte Liköre, unterhielt sich gedämpft und tanzte, als müsse man einer lästigen, aber unumgänglichen Pflicht genügen.
    Mehr als das interessierten mich die Kellner, Manager und erotischen Spaßmacher auf der Bühne, überhaupt die ganze Dienerschaft dieser korrumpierten, dekadenten Welt. Wie war es möglich, sich in die Abhängigkeit von launenhaften und perversen Menschen zu begeben, die sich anmaßten, Herren der Welt zu sein, wenn man in der Organisation der Werktätigen frei und von allen gleichgeachtet sorgenlos und heiter-menschlich sein Dasein erfüllen konnte?
    In diesem Punkt fielen wieder die Ansichten von Joll und Noris und den Gruppen, die hinter ihnen standen, auseinander.
    Noris war der Meinung, es gebe ausgesprochene Lakaienseelen, die man nie zu Gemeinschaftsmen schen erziehen könne. Sie gediehen nur unter der Knute eines herrischen Willens. Sie fühlten sich nur wohl, wenn sie die vergiftete Luft von kupplerischen Salons atmen dürften. Sie litten an der Sucht, sich zu erniedrigen, wie an einer unheilbaren Krankheit.
    Joll bestritt nicht, daß in

Weitere Kostenlose Bücher