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Körperbild-Bigotterie: fette, dürre, krumme, Bierbauch mit Streichholzbeinchen, Fettnacken, wulstförmig, zahnloses, geiles Grinsen. Ich hatte mich schon gefragt, wieso er eine so offensichtliche Abneigung gegen seine Geschlechtsgenossen hegte. Die überzeugteste Feministin hätte sie nicht abstoßender darstellen können.
Am nächsten Mittag, beim Kartoffelnschälen, ließ ich meinen nicht benötigten Kopf anderweitig schweifen: Rüdiger hatte mich nach meiner Meinung zu Markus gefragt:
»Wie fandest du ihn? Du warst die Einzige, die sich länger mit ihm unterhalten hat.«
Ich hatte ausweichend geantwortet. Eine von Markus’ Plastiken war für den Museumsvorplatz vorgesehen. Rüdiger hatte keine Probleme damit, wohl aber einige ältere Stiftungsräte und hier wahrscheinlich eher deren Gattinnen. Soviel ich verstanden hatte, gab es keine rechtlichen Probleme, weil der Vorplatz städtischer Grund und Boden war. Es handelte sich um reine Befindlichkeits-Bauchpinselei dieser zickigen Herrschaften. Daher war Markus auch zum Essen dazugeladen worden. Rüdiger hatte gehofft, die alten Fregatten mit dem Charme und jugendlichen Elan des Künstlers zu beeindrucken. Das hatte nicht ganz geklappt. Zwar war ich mir keiner Schuld bewusst – schließlich hatte ich es nicht darauf angelegt, neben ihm zu sitzen –, trotzdem hatte ich das fein gesponnene Netz gestört. An meiner Stelle hätte die Busenfreundin seiner rechten Tischdame sitzen sollen. Kein Wunder, dass er da nicht mitgespielt hatte. So würde Rüdiger sich etwas anderes ausdenken müssen, um die Frau Kreisrat a. D. günstig zu stimmen. Momentan schwankte er zwischen einem Sektfrühstück anlässlich der neuen Ausstellung und einem Abend mit Tanz. Letzteres war für ihn als Riesenopfer zu betrachten. Bis auf Ausnahmen scheint es ein Gesetz zu sein: Frauen tanzen für ihr Leben gerne – Männer hingegen scheuen vor keiner Ausrede zurück, um sich davor zu drücken. Bei diesem Thema kann man wirklich nur Loriot zitieren:
»Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen.«
Das Klingeln der Haustür riss mich aus meinen Betrachtungen. Die Kinder hatten offenbar früher Schulschluss. Hitzefrei?
»Hi, Mama, was gibt’s zu essen?«
»Kartoffeln mit Kräuterquark. Es dauert aber noch eine halbe Stunde. Ich habe nicht mit hitzefrei gerechnet. Wie war’s?«
»Ganz gut. Mama, kannst du uns nachher ins Schwimmbad fahren? Du wolltest doch sowieso in die Bücherei, da kannst du uns an der Ecke absetzen. Bitte!«
Ich zögerte kurz, denn eigentlich gehe ich lieber vormittags. Dann hat man eher die Chance auf einen Arbeitstisch für sich allein – und keine pubertierenden Schüler üben ihre Balzrituale. Aber bei dem Wetter …
»Na gut. Aber heimkommen müsst ihr mit dem Bus. Ich bleibe nicht den ganzen Nachmittag in der Stadt.«
In diesem Sommer hatte sich eine für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich lang andauernde Schönwetterperiode entwickelt. Geradezu kolumbianisch. Hoffentlich würde sie lange genug anhalten, um den ekligen Schleimpilz auszutrocknen, der jedes Fleckchen Moos auf den Gartenwegen in eine Art glibberige Alge verwandelt hatte. Da ich mit dem Glibber nichts anfangen konnte, beglückte ich einen Nachbarn, der Biologielehrer am Gymnasium der Nachbarstadt ist, mit einer Probe. Geradezu glücklich, zur Abwechslung nicht nur Maronenröhrlinge oder Wiesenchampignons begutachten zu dürfen, hatte er sich in Fachliteratur vergraben und den unappetitlichen Organismus bestimmt. Ich bewunderte ihn gebührend und vergaß den unaussprechlichen Namen sofort wieder. Ich wollte das Zeug nur loswerden.
»Alles abkratzen und auf trockenes Wetter hoffen«, lautete des Lehrers Auskunft.
Ich zog einen kurzen Stretchrock und meine Lieblingsbluse aus weißem Baumwollcrinkle mit dem tiefen V-Ausschnitt an. Da meine Füße ein erfreulicher Anblick sind, trage ich gerne knallroten Nagellack und Riemchensandalen. Die Kinder saßen schon im Auto. Ehe ich sie aussteigen ließ, erinnerte ich sie noch daran, bis zum Abendessen um sieben zu Hause zu sein. Ich fragte nach den Telefon- und Eintrittskarten und konzentrierte mich dann auf die Parkplatzsuche.
Die Bücherei empfing mich mit stickiger Luft und gähnender Leere. Im Sommer versorgen sich die Stammgäste gleich morgens mit der nötigen Lektüre, so dass die schwitzenden Bibliothekarinnen den Rest des Tages nahezu unter sich bleiben. Meine Vorliebe für Wärme ist dann ein echter Vorteil. Als ich nach dem Abitur an
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