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hielt ich die Luft an, als die Türflügel aufschwangen. Falls ich ein buckliges Faktotum erwartet hatte, wurde ich enttäuscht. Ein Bodybuilder-Typ in Butler-Uniform verbeugte sich tief und hieß uns förmlich willkommen. Seine Hand griff nach den Einladungen und nahm sie entgegen. Er entschwand in einen angrenzenden Büroraum. Den Tastaturgeräuschen nach zu urteilen, überprüfte er uns in einem Computer.
»Sie sind zum ersten Mal da. Haben Sie Vorlieben?«
Markus zögerte sichtlich.
»Verstehe. Sie möchten sich erst mal umsehen. Sie sind darüber informiert, dass sie den ›V-Status‹ nur für den ersten Besuch in Anspruch nehmen dürfen?«
Ich stutzte. Natürlich: V wie Voyeurs-Status. Wir nahmen die zwei Anstecknadeln in Form eines geschwungenen ›V‹ entgegen und befestigten sie über unseren Namensschildern. Damit kam ich mir vor wie ein Führerscheinneuling mit einem »A« auf der Heckscheibe.
»Bitte dort entlang.«
Wir folgten dem Korridor und ich hörte, wie der Empfangschef das nachfolgende Paar begrüßte. Hinter einer weiß lackierten Tür war Stimmengewirr zu hören, Gläserklirren – die Geräuschkulisse eines größeren gesellschaftlichen Ereignisses. Wir betraten einen Saal. Mindestens die Hälfte der Köpfe drehte sich in unsere Richtung. Alle Anwesenden trugen ebenfalls Masken. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ein Zeremonienmeister laut klopfend unsere Namen verkündet hätte. Wir schritten über helles Parkett in unbezahlbarem Fischgrätmuster. Darauf, wie Inseln im Indischen Ozean verteilt: Orientteppiche und Sitzgrüppchen im Biedermeierstil. An der gegenüberliegenden Saalwand dominierte ein prächtiger Kamin, in dessen Tiefe Birkenstämme loderten. An den Längsseiten prangten luxuriöse Büfetts. Von weitem sprang mir ein Hummer, auf einem Berg Austern liegend, ins Auge. Doch die Anwesenden aßen höchstens hier und da ein Kanapee – zum Essen waren diese Masken eben unpraktisch. Die Getränke konnte man bequem per Trinkröhrchen zu sich nehmen. Aus diesem Grunde sah ich wohl überwiegend bunte Longdrink-Gläser auf den herumgereichten Tabletts.
Eine Matrone mit königlicher Ausstrahlung nahm Kurs auf uns. Sie trug ein Kostüm mit geschnürtem Leibchen und raschelnden Röcken in Pfauenblau und Türkis sowie ein Namensschild mit der Aufschrift Lisette. Berücksichtigte man eine gewisse künstlerische Freiheit, konnte man ihr Kostüm, so wie Markus’ Verkleidung, im achtzehnten Jahrhundert ansiedeln. Diesem Stil war die Mehrzahl der Gäste gefolgt. Den Frauen standen die geschnürten Mieder, aus denen mehr oder weniger viel Busen quoll, zumeist wundervoll. Die Männer waren eher benachteiligt, denn die hautengen Hosen und weit geschnittenen Hemden schmeichelten den wenigsten: zu klein, zu dick, zu unproportioniert. Einige hatten sich in eine Art Morgenrock gehüllt, was die Diskrepanz zwischen Bauch und Streichholzbeinchen wenigstens optisch minimierte. Andere schienen der Maxime zu folgen: »Einen schönen Menschen kann nichts entstellen .«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit Madame Lisette zu, die uns als routinierte Gastgeberin herzlich beide Hände entgegenstreckte und uns begrüßte.
»Herzlich willkommen, Amanda und Errol. Wie schön, dass ihr kommen konntet. Ihr habt noch Zeit, vor der Auktion eine Kleinigkeit zu euch zu nehmen. Wir warten nur noch auf – Kapitän Hornblower und Gouverneur Lafitte.«
Sie nahm es wohl ziemlich ernst mit ihren Fantasiegestalten. Markus verneigte sich tief und übertrieben höflich. Ich begnügte mich mit einem angedeuteten Knicks, den ich in meiner frühen Jugend noch hatte praktizieren müssen und den ich entsprechend beherrschte. Dann packte ich Markus’ Ärmel, zog ihn zum Büfett und flüsterte:
»Was ist eigentlich das Motto dieses Balls? Und was meint sie mit ›Auktion‹?«
Markus reichte mir einen Teller.
»Die Veranstaltung heißt ›Glücksritter in der Karibik‹. Vermutlich handelt es sich um eine Sklavenauktion. Lass dich einfach überraschen.«
Sklavenauktion? Du meine Güte! Wir nahmen ein, zwei Häppchen, schlürften im Gehen einen exotischen Cocktail und suchten uns einen freien Platz. Eine Dame im Witwenkostüm lehnte, vornehm gelangweilt, in einer Sofaecke. Sie lächelte einladend, rückte mit vor Ringen starrenden und von Altersrunzeln überzogenen Händen ihren leeren Teller zur Seite und starrte sehnsüchtig auf Markus’ Männlichkeit unterhalb seiner Gürtellinie. Ihre Mimik blieb dabei hinter einer
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