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um hineinschauen zu können. Was ich sah, überraschte und schockierte mich:
Einer der Schwarzen, der ganz offensichtlich ersteigert worden war, hing mit wild verzerrtem Gesicht an einem Schaukelgestell. Seine Handgelenke lagen in Ketten, die wiederum verbunden waren mit einem Fleischerhaken in der Decke. Er war mit etlichen, breiten Lederriemen an dem Gestell festgezurrt. Er hing dort, in gekrümmter Haltung, wie ein Paket verschnürt. Er hielt die Lippen fest zusammengepresst und eine steile Furche zog sich von der Nasenwurzel bis fast zum Haaransatz. Ich blinzelte ein paar Mal, als ich auf den bulligen Nackten hinter ihm aufmerksam wurde. Der schmiegte sich hingebungsvoll wie ein Liebhaber an dessen Rücken. Sein entrückter Gesichtsausdruck verriet, dass er sich voll und ganz seiner Lust hingegeben hatte. Ich erkannte erst beim zweiten Hinsehen, das es ein überaus fotogenes und mir wohlbekanntes Gesicht war. Seine schmalen, aristokratischen Lippen verzerrten sich zu einem Strich, ein dünner Speichelfaden rann aus einem Mundwinkel, lief seitwärts am Kinn entlang und tropfte schließlich zu Boden. Plötzlich schlang er beide Arme fest um die Taille vor sich, drückte sich noch tiefer hinein und biss unbeherrscht in die Schulter, die sich ihm darbot. Ungläubig schüttelte ich den Kopf: Hier fickte der Platzhirsch der bürgerlichen Mehrheitspartei einen gefesselten Schwarzen in den Hintern. Das durfte einfach nicht wahr sein! Und dieser Mensch mokierte sich öffentlich über die zu lässige Erziehung der Jugend – das »Grundübel« der Gegenwart. Zum ersten Mal in meinem Leben bedauerte ich aufrichtig, kein Sensationsfotograf zu sein.
Eine schwere Hand auf meiner Schulter katapultierte mich senkrecht in die Luft. Mein Herzschlag beschleunigte sich galoppartig und ich musste nach Luft schnappen.
»Sind Sie ein Gast, meine Dame?«, herrschte mich eine Stimme an.
Die Hand klappte geräuschlos den Laden vor die Luke. Im Halbdunkel ragte vor mir eine baumlange Gestalt auf: kurz geschnittene Haare, militärisches Outfit und ein stummer, aber zappeliger Dobermann an einer kurzen Leine. Einer vom Wachpersonal auf Streife. Ich schüttelte die Peinlichkeit, beim Spannen ertappt worden zu sein, ab und räusperte mich, bevor ich antwortete.
»Ich bin mit …«, hatte ich das Gefühl, erklären zu müssen.
»Keine Namen«, fiel er mir ins Wort. »Ich sehe schon, Sie sind zum ersten Mal da.«
Erleichtert, keine langwierigen Erklärungen abgeben zu müssen, schwieg ich. Er zog kurz an der Leine, an deren Ende die Hundekreatur hechelnd weiterstrebte.
»Sie sollten hier lieber nicht alleine rumgeistern! Wo ist Ihr Begleiter?«
Ich wedelte in Richtung Strand.
»Ich war nur schnell auf der Toilette. Ich hörte einen Schrei und ging ihm nach. Was machen Sie denn in einem solchen Fall?«
»Sehe ich aus wie Mutter Teresa?«, fragte er kalt zurück. »Seien Sie froh, dass Sie keinem frei laufenden Hund über den Weg gelaufen sind. Kommen Sie, ich bringe Sie hinunter zum Strand.«
Ich folgte Hund und Herrn auf meinen Highheels den schmalen Trampelpfad hinunter zum See. Als wir durchs Gebüsch am Rande des Ufers gingen, verharrte der Tierkörper plötzlich bewegungslos. Ein grollendes Knurren stieg aus seinem Brustkorb. Ich stolperte in den Rücken des Wachmanns und musste mich in sein Popelinehemd krallen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Es waren unverkennbar zwei Stimmen zu vernehmen. Markus schien am Strand in ein angeregtes Gespräch, nein, in einen Streit verstrickt zu sein! Die Stimme seines Gegenübers überschlug sich in dramatischen Stimmhöhen. Vor mir fluchte der genervte Wachmann:
»Wer ist denn das schon wieder? Wo kommt denn der Typ auf einmal her?«
Ich hob nur ahnungslos die Schultern.
»Ich weiß nicht. Als ich zur Toilette ging, war mein Begleiter noch allein.«
Wer war das bloß? Der Hund stellte seine winzigen Ohrstummel auf und hechelte wie verrückt. Trotz fester Leine und kräftigem Führer gierte er nach Jagd und Kampf. Der Wächter hielt den Hund kurz und setzte sich wieder in Bewegung. Ich blieb beiden dicht auf den Fersen. Langsam konnte ich einzelne Worte verstehen. Die aufgeregte Stimme kam mir bekannt vor, ich konnte sie aber noch nicht einordnen. Der Sandstreifen war nun in gleißendes Mondlicht getaucht.
»Warum verstehst du mich denn nicht? Du musst doch einfach …«
Die anklagend erhobene Stimme ging in Gemurmel über, auf das Markus betont ruhig antwortete. Die beiden
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