Vaclav und Lena
den Raum, sie war entrüstet darüber, dass sie Lena gegenüber dieser Frau verteidigen musste, die androhte, Lena bereits in der ersten Woche von der Schule |244| zu weisen. Auf dem Weg nach Hause, wo Lena mit ihrer neuen Betreuerin, der Tochter von einer von Emilys besten Freundinnen, gerade einen Snack aß, wurde ihr das Ausmaß bewusst, in dem diese Frau und die Schule sie enttäuschten. Alle hatten durch die Bank weg geschworen, dass die Schule eine geschützte, liebevolle Umgebung bieten und Verhaltensunterschiede integrieren würde und dass die Lehrer auf dem Weg zu Lenas Erfolg Emilys Verbündete sein würden. Aber Miss Rhys hatte Emily keinerlei Hilfe angeboten, um Lena zu fördern, und jetzt würde Emily zur Schulleitung gehen und die subtile Art beschreiben müssen, mit der ihr im Gespräch klargemacht worden war, dass Lena weder akzeptiert noch unterstützt wurde.
Emily war wütend, aber als sie zu Hause ankam, atmete sie tief durch. Lena sollte nicht merken, dass sie aufgebracht war. Als sie ihre Schlüssel in die Schale an der Tür fallen ließ, konnte sie schon Lenas Gekreische bei den Hausaufgaben hören.
In der Küche hielt Lena ihren Kopf in beiden Händen und riss sich Haare aus. Die Betreuerin Amy saß geduldig neben ihr und sah überfordert aus. Als sie Emily sah, schaute sie sie um Verzeihung bittend an, und Emily sagte sofort: »Amy, ist schon okay. Ist okay. Es tut mir leid, ich gebe dir das Geld, dann kannst du nach Hause.« Emily reichte Amy einen Zwanzigdollarschein, weit mehr, als sie ihr schuldete.
Als Amy weg war, setzte Emily sich zu Lena an den Tisch.
»Lena, hör auf, dir die Haare auszureißen«, sagte sie, doch Lena schien nichts mitzukriegen. »Lena, hör auf. Hör auf.« Sie spürte, wie Zorn in ihr aufstieg, Zorn, den sie eigentlich hatte unterdrücken wollen, Zorn auf Lena, die sich selbst verletzte, Zorn auf die Lehrerin, auf alles.
|245| »STOPP!«, schrie Emily Lena an. »Du bist entmutigt, du bist wütend, und du hast ein Recht darauf, wütend zu sein, natürlich bist du wütend. Du bist klug. Du bist klüger als jeder andere in deiner Klasse, du bist klüger als deine Lehrerin. Dir fehlen nur die Worte, und das ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Schuld, es ist nicht deine Schuld.« Lena weinte.
»Keine Wutanfälle mehr in der Schule. Das ist jetzt unsere Regel. Kein Schreien. Kein Kreischen. Das ist jetzt auch eine Regel.« Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte, aber sie vermutete, dass Lena Regeln mochte. »Du kannst zu Hause herumschreien, du kannst alles hier tun, was du willst. Nur nicht in der Schule.«
Lena nickte und wischte sich die Augen, ihr zitterten immer noch die Lippen. Dann fingen sie mit den Hausaufgaben an.
Am nächsten Tag, als Emily wusste, dass die Schüler Pause hatten, rief sie in der Schule an und bat darum, Miss Rhys zu sprechen. Sie ging in der Küche hin und her, während sie wartete.
»Hallo?« Miss Rhys war deutlich verärgert, dass man sie beim Mittagessen störte.
»Hallo, hier Lenas Mama, Emily – es tut mir leid, dass ich Sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwische. Ich möchte nur sichergehen, dass heute mit Lena alles besser klappt, bis jetzt jedenfalls.« Es war erst halb zwölf.
»Sie hat den ganzen Vormittag ruhig an ihrem Arbeitstisch gesessen«, sagte Miss Rhys. Emily lächelte.
»Fantastisch, genau das, was ich hören wollte.«
»Sonst noch was?«, fragte Miss Rhys.
|246| »Nein, das ist alles«, sagte Emily. Sie wusste, dass Lena ihren neuen Regeln folgte, und fand bestätigt, was nur eine Vermutung gewesen war, nämlich dass Lena Angst hatte, Regeln zu brechen.
Lena ging weiter zur Schule und kam jeden Tag mit verstörtem Gesicht nach Hause. Emily setzte sich zu ihr, und gemeinsam erledigten sie die Hausaufgaben, Wort für Wort. Lena weinte, wenn es Zeit für die Hausaufgaben war, und manchmal weinte sie während der ganzen Hausaufgaben. Sie brauchten Stunden dafür. Lenas Mathematikwissen war katastrophal, anscheinend hatte sie nicht einmal die Grundkenntnisse erlernt. Lena sagte Emily, dass sie sich wie ein Dummkopf vorkomme, dass sie sich dumm anhöre und dass sich alle hinter ihrem Rücken lustig über sie machten. Aus häufigen Telefonaten mit Miss Rhys wusste Emily, dass dies nicht stimmte.
Doch wurde es langsam besser. Lena verstand immer mehr von ihren Hausaufgaben und ihren Schulstunden. Sie wurde gelassener. Eines Tages waren sie mit den Hausaufgaben fertig, als es noch hell draußen
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