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Vaeter und Soehne

Vaeter und Soehne

Titel: Vaeter und Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivan Sergejevich Turgenev
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»in der medizinischen Karriere wird er sich wohl nicht den Ruhm holen, den Sie ihm prophezeien?«
    »Ohne Zweifel nicht, obgleich er auch in diesem Fach bestimmt ist, zu den Gelehrtesten zu gehören.«
    »Welches ist dann die Karriere, in der …«
    »Das kann ich Ihnen jetzt gleich nicht sagen, aber er wird ein berühmter Mann sein.«
    »Ein berühmter Mann!« wiederholte der Greis und versank in tiefe Träumerei.
    »Arina Vlassiewna läßt Sie bitten, zum Tee zu kommen,« sagte Anfisuschka, die mit einer ungeheuren Platte Himbeeren vorüberging.
    Wassili Iwanowitsch fuhr zusammen, richtete sich aber wieder auf.
    »Gibt es Rahm zu den Himbeeren?« fragte er.
    »Ja, das gibts.«
    »Daß er nur ja recht kalt ist, hörst du! Machen Sie keine Umstände, Arkad Nikolaitsch, nehmen Sie mehr. Wo bleibt Eugen so lange?«
    »Ich bin hier,« antwortete Bazaroff aus Arkads Zimmer.
    Wassili Iwanowitsch wandte sich rasch um.
    »Ah! Du wolltest unsern Gast überraschen; aber du kommst zu spät,
amice,
denn wir plaudern schon seit einer Stunde zusammen. Nun komm zum Tee, deine Mutter erwartet uns. Apropos! ich muß dich etwas fragen.«
    »Was?«
    »Es ist hier ein Bauer, der an einem
icterus
leidet.«
    »Das heißt, er hat die Gelbsucht.«
    »Ja, er hat einen Anfall von chronischem und hartnäckigem
icterus.
Ich habe ihm Tausendgüldenkraut und Quecken verschrieben; auch hieß ich ihn gelbe Rüben essen und Sodawasser trinken. Aber das sind lauter ›Polliative‹; man sollte ihm etwas Kräftigeres verabreichen. Obgleich du dich über die Medizin lustig machst, kannst du mir doch gewiß einen guten Rat geben.«
    »Wir wollen später darüber reden. Kommt zum Tee.«
    Wassili Iwanowitsch sprang leicht von der Bank auf und stimmte das Lied aus »Robert der Teufel« an:
    Der Wein, der Wein, das Spiel, die Schönen,
    Sie lieb, sie lieb, sie lieb ich nur allein.
    »Welche Lebenskraft!« sagte Bazaroff, während er vom Fenster trat.
    Es war um die Mittagszeit. Trotz des feinen Vorhangs weißlicher Wolken, die den Himmel bedeckten, war es erstickend heiß. Ringsum herrschte Stille, nur die Hähne im Dorfe krähten, und die langgezogenen Töne verursachten allen, die sie hörten, ein sonderbares Gefühl von Faulheit und Langerweile. Von Zeit zu Zeit erhob sich aus dem Gipfel eines Baumes wie ein Klageruf der durchdringende Schrei eines jungen Sperbers. Arkad und Bazaroff lagen im Schatten eines kleinen Heuschobers auf einem Haufen Gras, welches bei der geringsten Bewegung raschelte, obgleich es noch grün und duftig war.
    »Diese Espe da«, sagte Bazaroff, »ruft mir meine Kindheit zurück; sie steht am Rand eines Grabens, der sich auf dem Platz einer ehemaligen Ziegelei gebildet hat. Ich war damals überzeugt, daß dieser Baum und dieser Graben die Kraft eines Talismans haben: ich langweilte mich nie in ihrer Nähe. Ich begriff damals noch nicht, daß ich mich nur darum nicht langweilte, weil ich ein Kind war. Jetzt, da ich groß geworden bin, hat der Talisman seine Kraft verloren.«
    »Wie viele Jahre hast du im ganzen hier verbracht?« fragte Arkad.
    »Zwei Jahre hintereinander; später kamen wir von Zeit zu Zeit hierher. Wir führten ein Nomadenleben und zogen fast immer von einer Stadt zur andern.«
    »Ist das Haus schon lange gebaut?«
    »Ja … Mein Großvater hat es gebaut, der Vater meiner Mutter.«
    »Was war er, dein Großvater?«
    »Der Teufel soll mich holen, wenn ichs weiß! Ich glaube Major zweiter Klasse. Er hat unter Suworow gedient und erzählte beständig von ihrem Übergang über die Alpen, wahrscheinlich schnitt er gehörig auf.«
    »Deshalb hängt in eurem Wohnzimmer das Bildnis Suworows? Ich liebe solche alte warme Häuschen wie das eure sehr; sie haben auch einen ganz eigentümlichen Geruch.«
    »Ja, nach Öl und Wäsche,« erwiderte Bazaroff. »Und die Menge Mücken in diesen niedlichen Wohnungen! Pah!«
    »In deiner Kindheit«, fuhr Arkad nach kurzem Schweigen fort, »hat man dich nicht streng gehalten?«
    »Du kennst meine Eltern, sie sind keine Menschenfresser.«
    »Du liebst sie sehr, Eugen?«
    »O ja, Arkad!«
    »Sie hängen sehr an dir!«
    Bazaroff antwortete nichts.
    »Weißt du, an was ich denke?« sagte er endlich, indem er die Hand unter den Kopf schob.
    »Nein, sprich!«
    »Ich denke, daß das Leben für meine Eltern sehr süß ist! Mein Vater interessiert sich für alles, obgleich er seine sechzig Jahre hinter sich hat; er spricht von ›Polliativ‹ mitteln, behandelt Kranke, spielt den Großmütigen

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