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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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sein Vater ein. »Du heißt sogar so.«
    »In unserem Dorf gibt es immer mehr Schlosser, die immer weniger zu tun haben. Aber es gibt nur einen Töpfer, und der ist schon alt. Das Geschäft läuft bestimmt.«
    »Aber Töpfer? Töpfer Schlosser? Ein unmöglicher Name. Absurd. Und wer erbt dann meinen Geschäftsanteil?«
    »Von welchem Geschäft sprichst du denn?«, sagte der Lehrling, »das mein ich doch die ganze Zeit. Wir machen doch sowieso nur noch Schlüssel. Ich will das nicht bis an mein Lebensende machen. Ich halt das nicht aus.«
    Da kam der Großvater des Lehrlings hereingewackelt. Er hatte das Geschrei gehört, und da er keinen Kampf ausließ, wollte er jetzt seinen Hieb platzieren.
    »Was hast du daran auszusetzen?«, mischte er sich ein. Er sah, dass sein Enkel in die Enge getrieben worden war, und wusste genau, wen und wie er angreifen musste. »Ich war Schlosser, deine Onkel sind Schlosser, dein Vater ist Schlosser. Mein Großvater war Schlosser. Seit Generationen, bei Gott! Der Beruf hat uns ernährt. Denk daran, was für gute Dienste wir leisten. Ohne uns würde die Welt im Chaos versinken. Bauern und Zigeuner würden überall ein- und ausgehen. Stell dir das vor! Grässlich, ich weiß. Also, es gab mal eine Zeit, da war das so, vor der Erfindung der Schlösser. Die Karthager haben sie erfunden. In Karthago. Damit die Bauern nicht reinkamen. Na, eigentlich Gallier, aber Bauern waren’s trotzdem. Und seitdem haben wir Schlösser. Jeder braucht ein Türschloss. So ist das. Ganz im Gegensatz zu deinen schönen Tellern.«
    »Sind ja nicht nur Teller«, wandte der Lehrling ein. »Keramik! Teller, Töpfe, Tassen, Aschenbecher. All so was. Teller benutzt jeder. Ich wette, die Karthager hatten Teller, bevor sie Schlösser hatten.«
    »Teller! Nie gehört. Hab nie einen benutzt.«
    »Was redest du da?«, sagte der junge Lehrling kopfschüt telnd . »Natürlich benutzt du Teller.«
    Sein Großvater schüttelte den Kopf und sein Vater ebenfalls. Seine Vettern – die ihren Großvater brüllen gehört hatten und herbeigeeilt waren – schüttelten die Köpfe. Die Männer der ganzen Familie standen vor ihm. Alle schüttel ten sie die Köpfe und leugneten, je einen Teller benutzt, benötigt oder auch nur gesehen zu haben. Zur Bestürzung der weiblichen Familienmitglieder hörten sie von da an auf, Teller zu benutzen. Das verziehen die Frauen dem Lehrling nie.
    Der junge Lehrling zuckte die Achseln und warf die Hän de hoch.
    »Ich werde Töpfer und mache Teller«, sagte er.
    Die Männer grinsten ihn hämisch an. Die Frauen hielten die Hände vor den Mund.
    »Ziehst du dann auch lange Damenunterhosen an?«, rief sein Großvater.
    »Klar tut er das.«
    »Genau wie mein Onkel Fridi«, sagte sein Großvater. »Er hat lange Damenunterhosen und ein Korsett getragen, ob ihr’s glaubt oder nicht, aber Schlösser hat er trotzdem gemacht, verdammt noch mal!«
    Der Lehrling schüttelte den Kopf und ließ sie in ihren Erinnerungen an Urgroßonkel Fridi schwelgen. Seitdem war er der Lehrling des Töpfers. Sie hatten ihm verboten, etwas aus der Töpferwerkstatt in ihr Haus zu bringen, und vor lauter Wut hatten sie ihn in einen Schuppen hinter dem Haus verbannt. Es dauerte ein Jahr, dann hatten sich alle beruhigt. Ein Vetter von ihm wurde sogar Elektriker, ein anderer Professor.
***
     
    Als der Lehrling fort war, wurde der Töpfer entspannter. Er begutachtete den frisch abgebürsteten Krug. Er sah kostbar aus, aber es fehlte noch etwas. Der Töpfer überlegte kurz, ging dann zu einer Schublade, machte sie auf unddurchwühlte sie. Sie war voller Steine, die meisten davon aus dem Fluss. Den kleinsten, den er fand, hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger. Er war kaum größer als ein Kieselstein. Mit ihm bearbeitete er die Paprikaschoten auf dem Krug, bis sie glänzten und strahlten. Eine Schote nach der anderen polierte er mit dem Stein. Als er nach ein paar Stunden damit fertig war, fuhr er mit dem Stein über die Innenseite der Tülle, bis sie glatt und eben und feucht war.
    Die Paprikaschoten wirkten wie Saphire. Die Tülle war gespitzt, wie der Mund einer Frau, die gerade pfeifen will. Der Töpfer lächelte den Krug an. Er bürstete ihn ein letztes Mal mit einer feinen Haarbürste, wischte ihn mit Mull ab und saß den restlichen Nachmittag und Abend davor, rauchte und betrachtete ihn von allen Seiten. Er wartete, so als würde der Krug gleich lebendig werden und auf ihn zugehen, sich auf seinen Schoß setzen und ihn auf den

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