Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
sie nicht bei der Sache gewesen. Nichts weiter. Sie hatte einfach zugelassen, dass die späte Maisonne ihre Wirkung entfaltete. Das war etwas ganz Harmloses, dachte sie. Nach dem langen Winter hatte das warme Sonnenlicht sie kurz um den Verstand gebracht. Sie hatte einfach nur einen Konzentrationsaussetzer gehabt, bei dem ihre Selbstkontrolle vorübergehend ausgefallen war. Es würde nicht wieder vorkommen. Jetzt hatte sie sich wieder im Griff, ihr Herz flatterte nicht mehr und ihre Lippen waren nicht mehr feucht und schon gar nicht gespitzt. Auch der brennende Schmerz in ihrem Körper würde bald vergehen. Diese Art Lust war ekelerregend bei einer Frau in ihrem Alter.
***
Während im Dorf die Geschichten über Valerias jüngstes Verhalten die Runde machten, während die Dorfbewohner vom Töpferlehrling erfuhren, dass Valeria den Töpfer spontan besucht hatte, woraufhin er ein paar Tage nicht in die Kneipe gekommen war, während es plötzlich früh sommerlich warm geworden war und alle luftigere Kleider aus Truhen und Schränken holten – während alledem spür ten die Bewohner des kleinen Dorfes, wie eine seltsame Schwerkraft an ihnen zog, genau an der Stelle unterhalb des Zwerchfells, wo sich der Solarplexus befindet. Dieses Ziehen war, als würden sie aus ihrem Lebensraum herausgesogen und an einem Faden aus Begehren in den Weltraum gezogen. Unerfüllt baumelten sie in der berauschenden Umlaufbahn von Pheromonen und Frühlingsgefühlen, einer unbestimmten Sehnsucht nach einer Berührung, nach Lippen, die einem etwas ins Ohr flüsterten, einem Nackenbiss, einem sich anschmiegenden Hals, einer Hand, die einem in die Bluse fasste, nach der Wärme sich liebender Körper, nach einem Orgasmus, ja, zum Kuckuck. Sogar die Tiere empfanden so. Die streunenden Hunde liefen brünstig durch die Straßen und die Kinder bewarfen sie mit Steinen, damit sie aufhörten, einander zu besteigen. Die Schweine rieben ihr Hinterteil an den Pfosten. Das Dorf war wach und in Hitze. Und aus irgendeinem Grund begriffen alle Dorfbewohner, dass es etwas mit Valeria und dem Töpfer zu tun hatte. Drei Tage nach Valerias Besuch beim Töpfer kamen sie instinktiv zu ihrem Häuschen. Valeria bearbeitete gerade die letzte Stufe mit der Bürste, als sie sich in freudiger Erwartung vor ihrem verschlossenen Gartentor drängten.
»Was machst du heute, Valeria?«, fragten sie. »Was hast du vor?«
»Seid ihr jetzt ein Liebespaar, du und der Töpfer?«
»Wir haben gesehen, dass ihr euch auf dem Markt verliebte Blicke zugeworfen habt.«
»Es heißt, du hast ihn allein besucht und bist über eine Stunde geblieben.«
»Der Töpfer ist ein netter Mann. Lass ihn in Ruhe.«
»Er ist Ibolyas Liebhaber, weißt du das nicht?«
Valeria drehte sich nicht zu ihnen um und schrubbte weiter.
»Ich rat euch, lasst mich heute in Ruhe«, sagte sie warnend.
Alle hatten gehört, dass sie den steilen Berg auf der anderen Seite des Dorfes wie wild hochgestrampelt und spä ter mit irrem Blick in Ibolyas Kneipe gestolpert war und ein Glas Sherry verlangt hatte. Selbst dass sie die Dorfkinder Hunde genannt hatte, hatte sich herumgesprochen.
»Als ich auf meinem Feld war und Fasanen gejagt hab«, gab ein Mann zum Besten, »hab ich einen grässlichen Schatten gesehen. Ich hab ihn mir durchs Fernglas angeschaut und Valeria erkannt. Sie fuhr auf ihrem Rad. Ihr Gesicht hättet ihr sehen sollen. Es hat mir Angst gemacht. Sie sah gefährlich aus.«
Die Dorfbewohner nickten verständnisvoll. Sie hatten alle Mitleid mit dem Töpfer. Sie wussten, dass er ein netter Mann war, der sich nie mit einer barschen Eigenbrötlerin wie Valeria eingelassen hätte, wenn er sie richtig gekannt hätte. Sie war eine boshafte Alte – und völlig unverbesserlich. Sie hatte für keinen Dorfbewohner etwas übrig und niemand verstand, warum sie bei ihnen blieb. Sicher nur aus Boshaftigkeit, da waren sich alle einig. Der freundliche Töpfer hätte sich nie mit Valeria einlassen sollen. Es tat dem Dorf nicht gut.
Schließlich hatte der Töpfer die schönen Teller gemacht. Seit die meisten denken konnten, hatte jede Neuvermählte im Dorf von ihm einen Teller und einen Bierkrug zur Hochzeit geschenkt bekommen, und keiner war wie der andere. Sie schüttelten die Köpfe. Wenn der Töpfer und Valeriaetwas miteinander anfingen, würde kein schmackhafter Happen mehr auf einem Servierteller liegen und kein Bierkrug mehr gehoben werden, da waren sich die Dorfbewohner sicher, es sei denn, man bezahlte
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