Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
verändert. Er konnte sich gar nicht verändern. Das Leben war hoffnungslos.
Er stand über dem Lehrling und musterte ihn boshaft. Er empfand kein Mitleid und keine Hoffnung. Er fand sich selbst nicht mehr zurecht. Dass das Hemd des Lehrlings wie eine Frauenbluse aussah, half ihm nichts. Der Schornsteinfeger fühlte sich ihm überlegen. Eigentlich fühlte er sich allen überlegen. Welcher Mann zog sich schon an wie eine Frau und machte dann jemandem einen Heiratsantrag? Welcher Mann verdiente schon seinen Lebensunterhalt damit, dass er mit Ton herumhantierte? Der schlaksige Lehrling griff sich an den Hinterkopf. Er wirkte so weich. Als hätte er nie hart gearbeitet. Der Schornsteinfeger lachte spöttisch und versetzte ihm einen Tritt. Ein Lehrling. Allerdings.
Zsofi schrie und ging auf ihn los. Ibolya war wie erstarrt. Ihr stand der Mund offen. Die Männer erhoben sich von ihren Stühlen.
»Ich hab gesagt, ich will mit dir reden, Tunte«, schrie der Schornsteinfeger dem Lehrling ins Gesicht und stieß Zsofi beiseite. »Wo ist dein Chef?«
Der Lehrling, eher fassungslos und peinlich berührt als gekränkt oder verletzt, hielt sich den Kopf. »Du hast mir eine Flasche über den Kopf gehauen, du dreckiges kleines Arschloch! Und du hast mich getreten. Hast du sie noch alle?«
Der Lehrling stützte die Ellbogen auf und rappelte sichhoch. Der Schornsteinfeger war direkt über ihm, sodass er ihn nicht aus der Hocke attackieren konnte. Er war jedoch angespannt und zitterte, als wolle er ihn gleich angreifen.
Zsofi stand währenddessen hinter ihm, dicht bei seinem Kopf, und hielt seine Schultern.
»Sie sind verrückt«, sagte er zum Schornsteinfeger und war plötzlich wieder auf den Beinen. Er gab ihm einen Schubs. »Ich sollte dir einen Arschtritt geben. Dieses Hemd war sehr teuer.«
»Brutaler Kerl«, rief Ibolya, die plötzlich wieder zur Besinnung kam. »Lass den Jungen in Ruhe. Der Töpfer ist jetzt wahrscheinlich bei Valeria oder am Bahnhof unten.«
Der Schornsteinfeger wollte gerade durch das Loch in der Wand hinaushuschen, als der Lehrling ihn an der Schulter packte. Der Schornsteinfeger pirouettierte, als stünde er auf einem Drehstuhl, und gab dem jüngeren Mann einen kräftigen Schlag in den Magen, direkt in den Solarplexus. Der Lehrling krümmte sich.
»Setz dich, du Schwuchtel«, knurrte der Schornsteinfeger. »Vor deiner Hochzeit setzt’s noch was – ich verarsch dich nicht.«
Der Lehrling ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sein Gesicht war bleich. Der Schornsteinfeger war fort.
Ibolya ließ es sich nicht nehmen, hinter ihm herzusticheln: »Wenn du zu Valeria gehst, vergiss nicht zu klopfen!«
»Holt den Polizeiinspektor«, rief Zsofi.
IX
D er Schornsteinfeger sprang laut fluchend durch das Loch in der Wand und fluchte noch, als er mit dem Rad zu Valeria raste. Die paar Fußgänger, denen er unterwegs begegnete, hörten ihn schon von weitem, und wenn sie ihn dann erblickten, wussten sie nicht, ob sie lachen oder sich in Sicherheit bringen sollten. In Wahrheit waren sie verblüfft, weil er schrie und brüllte wie ein Elefant. Dabei war er so klein! Er hatte beschlossen zu brüllen, zur Warnung: Er würde mit den Zähnen auf sie losgehen, oder mit seinen Stoßzähnen, je nachdem.
Als er zu Valerias Häuschen kam, löste er einen Backstein aus der Treppe. Er wusste genau, was er tat. Eine leise Stimme warnte ihn sogar, es nicht zu weit zu treiben.
»Ach was«, murmelte er und ließ den Stein fallen. Er sauste hinunter und krachte mit lautem Getöse gegen Valerias Haustür. Der Lärm gab ihm ein gutes Gefühl. Valerias Gardinen raschelten, als sie an ihnen vorbei zur Tür eilte.
»Das ist doch die Höhe«, schrie sie. »Wenn ihr Gören das seid, dann setzt’s was!«
Sie machte die Tür auf, den Besen schon in der Hand, darauf gefasst, die Kinder von ihrer Veranda zu jagen. Als sie den Schornsteinfeger sah, ließ sie den Besenstiel sinken. Sie war immer noch im Bademantel. Der Töpfer war fort, wieder am Bahnhof, um das Gießen der Bronze zu überwachen.
»Guten Tag«, sagte Valeria zum Schornsteinfeger.
Er war voller Wut und Verachtung. Seine Augen wirkten drohend und glänzten. Zwar beruhigte ihn das Ränzlein voller Geld ein wenig, das er bei sich trug, aber er war voller Groll. Er dachte daran, wie dumm er gewesen war, als er glaubte, sein Leben ändern zu können, und wollte diese Enttäuschung möglichst mit allen anderen teilen. Wenn er gekonnt hätte, hätte er das Dorf damit
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