Valhalla: Thriller (German Edition)
hindurchgeführt.
Hannah verschlug es die Sprache. Einen ganzen Fluss verschwinden zu lassen und unter der Stadt hindurchzuleiten, das war eine architektonische Meisterleistung.
»Überwältigend, oder?« Hannah konnte sehen, wie John hinter seiner Maske grinste. »Wäre doch schade gewesen, euch diese Überraschung zu verderben.«
»Deswegen tauchte der Kanal auch nicht mehr auf den Plänen auf«, sagte Ilka. »Ich hatte mich schon gewundert …«
»Ich denke, damit wäre eines unserer Hauptprobleme gelöst«, sagte John. »Die Frage, wie wir ungesehen zu den Biolabors gelangen.«
»Was macht dich so sicher, dass die Russen diesen Standort beibehalten haben? Sie könnten die Labors doch auch verlegt haben.«
»Warum sollten sie? Der Ort war gut gewählt. Hermetisch abgeriegelt, nur wenige Zugänge, ausreichend Platz. Ich denke, wir werden dort fündig. Wer kommt mit?«
Hannah setzte sich in Bewegung. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken an das, was vor ihnen lag. Irgendetwas in ihrem Inneren sträubte sich gegen die Vorstellung, die Kanalisation zu betreten. War es nur ihre Furcht vor Enge und Dunkelheit, oder war da noch mehr? Andererseits: Warum machte sie sich Gedanken? Sie war an den kältesten Ort der Erde gereist und hatte auch das überstanden. Der Rest würde sich irgendwie finden. Hoffentlich.
»In Ordnung, worauf warten wir?« Hannah bezwang ihre Furcht und marschierte auf die finstere Öffnung zu. In diesem Moment ließ sie ein unerwartetes Geräusch abrupt stehen bleiben. Ein scharfes Keuchen oder Husten wie von einem großen Tier.
Es kam von hinten aus einem Gebiet, das sie bereits durchquert hatten, und es ließ Hannah das Blut in den Adern gefrieren. Einen Moment lang überlegte sie, wo sie es schon mal gehört hatte. Dann fiel es ihr wieder ein. In Arkadijs Hütte. In der Nacht, ehe sie zu ihrem Abenteuer aufgebrochen waren.
43
V iktor Primakov streute etwas von dem weißen Pulver auf die Unterlage aus Hartplastik, schob es zu zwei Linien zusammen und entnahm seiner Reisetasche ein kleines Röhrchen. Er setzte es an die Nase, zog zunächst die erste Straße, dann mit dem anderen Nasenloch die zweite ein. Ein kurzer scharfer Schmerz, und es war überstanden. Er richtete sich auf und atmete tief ein. Kleine Sternchen explodierten in seinem Kopf, prickelten und perlten wie bei einem guten Champagner.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten.
Es war, als hätte jemand den Schleier gehoben, als würde er die Welt auf einmal so sehen, wie sie wirklich war, ohne lästige Filter. Farben, Gerüche, Geräusche – alles wirkte neu und frisch.
Das Kribbeln in seinen Schleimhäuten sagte ihm, dass die Dosis gut bemessen war. Eine kleine Entschädigung für das heutige Desaster. Immerhin hatten sie jetzt einen Gefangenen. Nun kam es darauf an, dass er das Beste daraus machte.
Er wischte die Kokainspuren von seiner Nase und überprüfte mit fachkundigem Blick Aussehen und Sitz seiner Uniform im Spiegel; schließlich war er bereit.
Während er durch die dekontaminierte Zone in Richtung Verhörraum ging, rief er sich noch einmal die Ereignisse der letzten 24 Stunden ins Gedächtnis. Die Entdeckung der Flüchtigen in Lewtschenkos Hütte, das Gespräch, das Ultimatum. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ein fehlerfreier Einsatz gewesen. Dann waren die Dinge aus dem Ruder gelaufen. Der Schusswechsel, die Beschädigung des Helikopters, die Flucht von Evans. Viktor spürte ein Stechen an der Nasenwurzel, Zeichen dafür, dass das Kokain jetzt in den Blutkreislauf eintrat.
Wohin waren sie geflohen? Wo konnten sie sich versteckt haben? Drei Hundegespanne hatten gefehlt, sie konnten also ein gutes Stück zurückgelegt haben. Nur in welche Richtung? Als der Helikopter endlich aufgestiegen war, hatte der Wind bereits alle Spuren beseitigt. Gewiss, sie hatten die Hunde wiedergefunden, doch befanden sie sich zu diesem Zeitpunkt schon wieder auf dem Heimweg. Viktor war sich ziemlich sicher, dass der Ort irgendwo in nördlicher Richtung am Steilabfall des Plateaus liegen musste. Die Kante war durchzogen von Klüften, Rissen und Spalten, die mannigfaltige Schutzmöglichkeiten boten. Die Gruppe konnte sich sonst wo versteckt halten. Ein erster Erkundungsflug hatte keine Ergebnisse gezeitigt, und für eine ausgedehnte Untersuchung zu Fuß waren sie nicht gerüstet. Zu wenig Zeit, von fehlendem Personal ganz zu schweigen.
Viktor presste die Zähne zusammen. Er konnte diesen Gedanken so oft durch seinen Kopf kreisen
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