Valley - Tal der Wächter
in dicken Tropfen auf die Erde.
»Verflixt noch mal, Aud!« Hal ergriff die Klaue am dicken Ende und ließ sie wieder in sein Bündel fallen. Dann nahm er rasch Auds Hand und wickelte sie in die Falten seiner Jacke, um die Blutung zu stillen. »Ich hab doch gesagt, du sollst aufpassen! Was glaubst du wohl, warum der Händler mich damit umbringen wollte? Weil die Klaue scharf ist, deshalb. Und darum habe ich sie auch eingesteckt.«
Aud war käseweiß im Gesicht, ein Schauder überlief sie. »Mir ist schlecht«, sagte sie mit schwankender Stimme. »Und jetzt versau ich dir auch noch die Jacke.«
»Das wird schon wieder. Also wirklich, wie kann man bloß so ungeschickt...«
»Schrei mich nicht an, verdammt noch mal! Lass mich in Ruhe!«
»Du hättest wirklich besser aufpassen können. Und jetzt halt endlich still!«
Sie saßen in verbissenem Schweigen nebeneinander, Aud kerzengerade und mit ausdrucksloser Miene, Hal schaute mürrisch in die Gegend und drückte dabei Auds Finger in seine Jacke. Sein Blick glitt eine Weile unruhig umher, bis er an einer Stelle in der fernen Felswand hängen blieb. Dort schlängelte sich, unter dem Schnee kaum zu erkennen, ein schmaler Grasstreifen bergauf bis zu einer kleinenVertiefung hoch oben in der Silhouette des Bergrückens. Hal kniff die Augen zusammen. Es war zwar sehr weit weg... aber man konnte sich trotzdem einen Pfad vorstellen, der aus dem Moor ins Hochgebirge führte …
Aud hatte ihm ihre Hand behutsam entwunden und untersuchte ihren blutenden Finger. Er teilte ihr seine Beobachtung mit.
»Dann gehen wir eben hin und sehen nach«, sagte sie kurz angebunden. »Dazu sind wir ja hergekommen.«
»Aber nicht mehr heute. Es ist schon spät, du bist verletzt, und nach dem, was wir vorhin entdeckt haben...«
»Was ist eigentlich los mit dir?« Sie stand unvermittelt auf. »Die Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder! Mein Vater lässt mich bestimmt bald abholen und das war’s dann.«
»Ach, das glaube ich nicht. Bald setzt das Tauwetter richtig ein, und dann dauert es noch Wochen, bis sich dein Vater auf den Weg machen kann.«
»Darauf will ich mich lieber nicht verlassen.« Ob es an der schmerzenden Wunde lag oder an dem Schreck über die Entdeckung in der Höhle, jedenfalls hatte Auds Stimme einen gereizten Ton, den er so von ihr nicht kannte. Sie sah ihn nicht an. »Du kannst hierbleiben oder umkehren«, blaffte sie, »mir ist das egal. Ich gehe jedenfalls nachsehen.«
»Sei doch nicht so stur.« Er war jetzt auch aufgesprungen. »Allein kommst du nie dorthin.«
»Das werden wir ja sehen.« Schon stapfte sie mit eigensinnig zusammengekniffenen Lippen den Hang hinunter, die Hand in ihren Mantel gewickelt.
Hal schnaubte wütend. Er lief hinterher und packte sie an der Kapuze. Aud schrie auf, riss sich los, schlug seine Hand weg und rannte davon. Da rutschte sie auf einem vereisten Stein aus, taumelte und landete mit dem Fuß in einer Erdspalte. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach mit verdrehtem Bein ins Gras.
Bei ihrem Aufschrei blieb Hal fast das Herz stehen. Er lief besorgt zu ihr, sein Ärger war vergessen. »Was ist passiert? Alles in Ordnung?«
»Du bist gut! Alles bloß deinetwegen! Ich hab mir den Knöchel angehauen.« Sie beugte und streckte vorsichtig den Fuß. »Geht schon wieder. Im ersten Schreck dachte ich schon... Hilf mir mal hoch.«
Er half ihr aufstehen. »Es tut mir leid.«
Sie atmete schwer. »Mir auch. Es ist bloß...« Sie versuchte aufzutreten. »Ich ertrage den Gedanken einfach nicht, wieder nach Hause zu müssen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, mit meinem Vater zusammenzuleben. Er macht mich noch verrückt!«
»Ich habe ja nicht gesagt, dass wir endgültig aufgeben«, lenkte Hal ein. »Nur dass wir es für heute lassen sollten. Die Stelle da oben im Gebirge sieht wirklich aus wie ein Pfad. Ich versprech dir, dass wir bald wieder herkommen und dort hinaufsteigen. Aber jetzt...«
Aud schrie auf. Sie hatte weitergehen wollen, war aber umgeknickt. Hal packte sie am Arm und bewahrte sie vor dem Hinfallen.
»Du kannst nicht auftreten, stimmt’s?«, sagte er erschrocken.
Sie nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Halb so wild, es tut bloß ein bisschen weh. Geht bestimmt gleich wieder.«
Hal war skeptisch. »Meinst du?«
»Na klar.«
»Glaubst du wirklich, du schaffst es vor Einbruch der Dunkelheit wieder bis über die Grenze?«
Aud lachte schrill. »Aber sicher! Sonst wären wir ganz schön
Weitere Kostenlose Bücher