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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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über dem flachen Land weiße Vögel am Himmel. Sie segelten mit dem Wind, legten sich in die Kurve und flogen in weiten Bogen davon. Zwischen dem Fluss und der Straße erstreckten sich ausgedehnte Sumpfgebiete und Schilfgürtel, sodass Hal nur noch ab und zu einen Blick auf die weite blauweiße, in der Sonne funkelnde Wasserfläche erhaschte. Ein-, zweimal rührte sich auch dort etwas: flache halbmondförmige Gefährte, die mithilfe von Stangen und Segeln flussaufwärts fuhren – die ersten richtigen Boote seines Lebens.
    Schon seit Tagen herrschte reger Betrieb auf der Straße. Karren, Reiter, Männer und Frauen, die ihren Geschäften nachgingen – auf jedem Feld schien eine Hütte zu stehen, alle paar Meilen kam ein Hof in Sicht. Schließlich kam Hal wieder an eine Stelle, wo sich die Straße – die hier doppelt so breit war wie im Obertal und obendrein in tadellosem Zustand – endgültig gabelte. Zwei nagelneue Heldenpfähle standen einander gegenüber. Die hölzernen Bärte waren gesträubt, die stumpfen Augen starrten ins Leere, die leblosen Hände lagen auf den Schwertknäufen. Der eine Pfahl war dunkelviolett angemalt, der andere orangerot. Hal glaubte, beide Häuser zu kennen.
    »Ja, hier verläuft die Grenze zwischen den Besitzungen der Arnessons und denen der Hakonssons«, bestätigte eine junge Frau. Sie hatte ihren Ochsenkarren angehalten, um einen Schluck Wasser zu trinken. »Zu den Arnessons sind es zwei Meilen durch den Wald, zu den Hakonssons drei Meilen am Fluss entlang. Zu wem willst du denn?«
    Hal antwortete nicht gleich.Vor seinem geistigen Auge erschien Aud, und vor lauter Müdigkeit und Hunger überkam ihn die unwiderstehliche Versuchung, ihr einen Besuch abzustatten... Seufzend riss er sich zusammen. Nein! Er hatte sein Vorhaben noch nicht ausgeführt und würde jetzt auf keinen Fall schwach werden.
    »Zu den Hakonssons!«, erwiderte er bestimmt.
    »Ich muss dich warnen«, sagte daraufhin die Frau und musterte den zerlumpten Jungen argwöhnisch. »Bettler sind hierzulande nicht willkommen. Herumtreiber, Vagabunden und andere Tunichtgute werden auf dem Markt mit nacktem Hintern an den Pranger gebunden und ordentlich durchgeprügelt. Anordnung von Hord. Er ist ein mächtiger, unerbittlicher Mann.«
    »Das kannst du laut sagen«, erwiderte Hal. »Ich bin übrigens kein Bettler.«
    Aber die Frau hatte schon mit der Peitsche geknallt und der Karren war davongerumpelt.

    Noch drei Meilen bis zu den Hakonssons. Ein Stück weiter, es dämmerte schon, schlug Hal in einem Wäldchen neben der Straße sein Nachtlager auf. Als er zitternd unter seiner dünnen Zudecke aus trockenem Laub lag, durchströmte ihn wilde Erregung.
    Morgen würde er endlich, endlich dem Mörder Olaf seine gerechte Strafe erteilen. Natürlich musste er erst einmal die Umgebung auskundschaften, aber die grundsätzliche Vorgehensweise stand fest. Zum Haus vordringen, ein eingestürztes Stück Troldmauer suchen, hinüberklettern und sich verstecken. Dann nachts in die Schmiede oder ein anderes Außengebäude eindringen, ein Messer besorgen und anschließend Olafs Schlafzimmer ausfindig machen. Wahrscheinlich lag es hinter der großen Halle, vielleicht hatte es sogar ein Fenster... Falls nicht, müsste er abwarten und Olaf frühmorgens umbringen, wenn der in den Hof hinaustrat, um sich zu erleichtern oder zu waschen. Nach vollbrachter Tat sofort den Rückzug antreten, über die Mauer und die Felder auf und davon. Und vor allem nicht erwischen lassen!
    Ob es nun an der Aufregung lag, an der Kälte oder am Hunger, jedenfalls schlief Hal nicht besonders gut. Erst gegen Morgen fiel er in einen unruhigen Schlummer, und als er aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Er fegte die welken Blätter von den Kleidern und machte sich eilig und voller Ungeduld, sein Ziel endlich in Augenschein zu nehmen, auf den Weg.
    Kurz darauf kam es in Sicht.
    Die Straße hatte sich erst eine kleine Anhöhe hinaufgeschlängelt und führte nun bergab zum Haus der Hakonssons. Auf einer Seite der Straße wogte stumm ein Flickenteppich aus Weizen- und Maisfeldern in der sanften Meeresbrise, goldbraun und schimmernd, auf der anderen Seite gingen grüne Wiesen in grauschwarzes Watt über, das von einem Gewirr aus bunten Stegen überzogen war. Die Stege reichten bis in die Ausläufer des Flusses hinein, der hier so breit war, dass er sich beinahe bis zum Horizont erstreckte. Neben den Stegen standen Hütten, Boote waren daran festgemacht, und überall

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