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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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wimmelte es von Menschen – auf den Stegen, in den Feldern, wo sie je nachdem entweder mit Netzen und Haken oder mit Schaufeln und Dreschflegeln zugange waren. Konnten denn wirklich so viele Leute zu einem einzigen Hof gehören?
    Hinter dem ganzen Gewimmel ragte eine mächtige Mauer auf, von einem breiten schwarzen Wassergraben umgeben, der sich durch Kanäle aus der Flussmündung speiste. Die fensterlose Mauer war höher als zwei erwachsene Männer übereinander und die Steine waren dicht an dicht geschichtet, unten am Wasser abweisend grau, weiter oben weiß getüncht. Und sie war nirgends, wirklich nirgends, auch nur das kleinste bisschen eingestürzt. Die Straße führte über eine Rampe aus aufgeschütteter Erde zum Hof hinauf und überquerte den Graben über eine breite Holzbrücke. Hinter der Mauer erkannte man die Giebeldächer vieler Gebäude, die meisten zwei oder noch mehr Stockwerke hoch. Das Ganze wurde von einer himmelhohen weiß gekalkten, in der Sonne grell leuchtenden Halle überragt.Von jedem Giebel flatterten orangerote Fahnen in herrschaftlicher Pracht.
    Mit brennenden Augen und trockenem Mund stand Hal wie angewurzelt auf der staubigen Straße. Zum ersten Mal überhaupt begriff er, wie abgelegen und unbedeutend Svens Haus, der Sitz seiner Familie, tatsächlich war. Seine Kehle fühlte sich an, als säße ein Stein darin fest.
    Er ließ die Schultern sinken, das Bündel glitt zu Boden. In stummer Erschöpfung hockte sich Hal ins Gras und barg das Gesicht in den Händen.

11
    Folgende Schätze nannte Sven sein Eigen: seinen aus einem Drachenzahn geschnitzten Trinkbecher, aus dem das Bier besonders würzig schmeckte, eine Kette aus den aufgefädelten Fingerknochen eines Troldmädchens, die rasselte, wenn Sven sich nach vorne beugte, den Silbergürtel, der ihm Kampfesglück brachte, sein Kettenhemd, das so fein gewirkt war, dass es einer schuppigen Schlangenhaut glich, und vor allem, wertvoller als sämtliche anderen Kostbarkeiten, die er in seiner Blütezeit als Held erworben hatte: sein unvergleichliches Schwert.
    Er hatte das Schwert zu Beginn seines sechsten Lebensjahres bekommen. Es war ein altehrwürdiges Stück. Manche behaupteten, die Klinge sei aus fünf Lagen Metall geschmiedet, eine jede so elastisch wie eine Sehne und zugleich hart wie Felsgestein. Die Schneide war schmal wie ein Grashalm und scharf wie ein Wolfszahn. Auf einer Seite war eine Schlange so kunstfertig eingraviert, dass jedes Mal, wenn Sven einen Gegner niederstreckte, dessen Blut hineinlief und die Schlange aufleuchten ließ. Der bloße Anblick des Schwertes ließ Svens Widersacher vor Furcht erstarren und beraubte sie aller Kraft.
    Unterwegs hatte sich Hal oft vorgestellt, auf welche Art und Weise er den Hakonssons den Garaus machen würde. In Gedanken hatte er sich an einem Seil von einem Baum heruntergeschwungen, als sie vorüberritten, und Olaf beim Hinschwingen enthauptet, Hord und Ragnar beim Zurückschwingen. Er war quer durch ihre Halle gestürmt, während sie beim Trinken zusammensaßen, hatte einen Jagdspeer von der Wand gerissen und alle drei, ohne stehen zu bleiben, mit einem einzigen Wurf aufgespießt. Er hatte sie mit Pfeilen durchbohrt, unter Felsbrocken zermalmt und in einer besonders vergnüglichen Fantasie – aus der halb bewussten Zeitspanne zwischen Wachen und Schlafen – alle drei auf einen Schlag in einem Riesenfass Bier ersäuft.
    Jetzt, da das Haus vor ihm lag, lösten sich all diese Wunschvorstellungen kläglich in Luft auf, genau wie seine unbekümmerten Pläne vom gestrigen Abend. Eine so hohe Mauer konnte er unmöglich überwinden, den Wassergraben nicht überqueren. Der einzige Zugang war das Tor, aber das bedeutete, dass er vor aller Augen über die Brücke gehen musste. Nicht nur vor den Augen irgendwelcher Diener, nein, oben auf der Mauer waren auch überall Wachen und Späher postiert. Gut möglich, dass das Tor über Nacht geschlossen wurde. Demnach musste er sein Glück tagsüber versuchen.
    Hal gab sich Mühe, seinen knurrenden Magen und die bleischweren Glieder zu ignorieren. Gut, er hatte ein gewaltiges Hindernis zu überwinden. Gut, das Haus der Hakonssons war viel größer, als er es sich vorgestellt hatte. Na und? Hätte Sven sich davon einschüchtern lassen? Wäre er unverrichteter Dinge umgekehrt? Nein. Er hätte sich etwas einfallen lassen.
    Hal überlegte angestrengt. Die Leute hier im Untertal waren alle hellhaarig und blass und fast alle waren hochgewachsen und schlank. Ein

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