Valley - Tal der Wächter
hergefallen war. Bestimmt lag alles voller Krümel.
Die Leiter bebte heftiger. Aud schaute hinüber.
Hal winkte ihr wie verrückt zu. Komm schon!
Aud stellte ihre Bemühungen ein und huschte, ohne sich aufzurichten, geduckt in Richtung der Luke, wobei sie nur auf die Zwischenräume der Balken trat und keinen Laut verursachte.
Sie drückte dem wartenden Hal Bündel und Beutel in die ausgestreckte Hand. Dann griff sie mit beiden Händen ins Dachstroh, zog ein Knie an, klemmte den Fuß in die Öffnung und stieß sich ab. Es ging wesentlich schneller und schwungvoller als bei Hal und sie suchte nicht erst umständlich nach Halt.
Doch als sie aus der Öffnung schnellte, fasste sie in morsches Stroh, verlor das Gleichgewicht, kam ins Rutschen...
Hal packte blitzschnell ihren vorbeisausenden Zopf und zerrte sie zu sich heran, sodass sie gegen ihn fiel. Sie wollte sich an ihm festhalten und bekam unter seiner offen stehenden Jacke Svens Gürtel zu fassen. Hal hielt sich nur noch mit einer Hand im Dachstroh fest, mit der anderen Hand hielt er Aud am Zopf gepackt, die ihrerseits die Füße gegen die Dachkante stemmte und sich an Svens Gürtel festklammerte.
Unter ihnen sprang jemand von der Leiter auf den Bretterboden.
Die Bretter knarrten, Stiefel schlurften durchs Stroh. Jemand hustete, dann hörte man einen dumpfen Schlag, vermutlich von einem Kopf gegen einen Balken, gefolgt von einem saftigen Fluch. Die Geräusche kamen näher und entfernten sich wieder. Draußen ließen sich rosig überhauchte weiße Tauben auf dem Dachfirst nieder. Aud schaukelte sanft hin und her, Hal rührte sich nicht. Seine ins Stroh gekrallten Finger wurden vor Schweiß ganz glitschig.
Die Durchsuchung des Dachbodens dauerte weder lange, noch war sie besonders gründlich, aber für Hal schien sie kein Ende zu nehmen – immer wieder wurde es still, aber dann hörte man doch noch mal Schritte, als ginge jemand unter der Öffnung im Dach auf und ab. Hal tat der Arm weh, seine Schulter zitterte. Er biss sich fest auf die Unterlippe.
Schwere Schritte auf der Leiter, gedämpfte Stimmen, sich entfernende Hufschläge.
Hal wagte wieder, Luft zu holen, Aud schob sich ein Stück höher und hielt sich an noch unversehrtem Stroh fest. So verharrten sie ein Weilchen schweigend.
»Das war knapp«, sagte Hal schließlich.
»Und ob!« Feixen. Und dann: »Du, Hal?«
»Ja?«
»Du kannst meinen Zopf jetzt loslassen.«
Als sie wieder auf dem Heuboden waren, holte der Schreck Hal plötzlich ein. Seine Knie zitterten und er bekam rasendes Herzklopfen. Rasch setzte er sich hin und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
Aud dagegen schien das kleine Abenteuer zusätzliche Energie zu geben. War sie vorher voller Eifer gewesen, so konnte sie sich jetzt kaum noch bremsen. Sie ging schwungvoll auf und ab, stieß mit den Zehen ins Stroh und ließ sich darüber aus, wie knapp die Sache ausgegangen war.
»Jetzt dürftest du hier sicher sein«, meinte sie. »Die kommen nicht noch mal her. Und von unseren Leuten schaut hier sowieso keiner rein. Mein verflixterVater aber auch! Ist das zu fassen? ›O gewiss, edler Hord, ich will alles tun, was du verlangst! Wenn es dir beliebt, bringe ich sogar meine eigenen Leute um. Steck ruhig überall deine Nase rein, zertrample unsere Ernte, durchsuche jeden Winkel meines Hauses.‹ Ein Wunder, dass er sich nicht einen Sattel auf den Rücken geschnallt und Hord angeboten hat, ihn persönlich durch die Felder zu tragen. Ich hasse meinen Vater! Ich hasse ihn!«
Hal zuckte die Schultern. Er war mit einem Mal furchtbar müde. »Vielleicht bleibt ihm nichts anderes übrig. Die Hakonssons sind seine Nachbarn. Er weiß, wie mächtig sie sind.Wie könnte er sich da weigern?«
»Pah!« Aud kochte vor Wut. »Meine Mutter hätte Hord die kalte Schulter gezeigt.Wenn er unverschämt geworden wäre, hätte sie ihn mit dem Besenstiel verjagt...« Sie war nicht mehr zu verstehen, weil sie hinter einem Dachbalken verschwunden war. »Bei ihr hätte er sich so etwas nicht herausnehmen können.«
»Klingt nach einer tollen Frau«, sagte Hal.
»Sie war eine Ketilsson. Die halten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg.«
»Dann kommst du offenbar nach deiner Mutter.«
»Jedenfalls bin ich nicht wie mein Vater, so viel steht mal fest. Wir beide kommen nicht gut miteinander aus.« Ihr vor Erregung sprühender Blick wurde matt. »Er macht kein Hehl aus seiner Absicht, mich so schnell wie möglich zu verheiraten und loszuwerden. Bei jeder
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