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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Märchen?«, wiederholte Hal verdutzt. »Das hast du schon mal gesagt. Meinst du damit etwa die Heldengeschichten?«
    »Die Helden, die Trolde, all die alten Geschichten, die uns einschränken. Nach denen wir unser Leben ausrichten, die uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Die Geschichten und Märchen, nach denen unsere Familien benannt sind, die unser Selbstverständnis bestimmen, unseren Lebensraum, unsere Feinde. Einfach alles.«
    »Glaubst du denn nicht daran?«
    »Nö. Du etwa?«
    »Na ja, ich...« Hal zupfte sich verunsichert an der Nase. »Glaubst du denn nicht, dass es die Helden gegeben hat? Dass sie gegen die Trolde gekämpft haben? Was ist mit der Schlacht am Troldfelsen? Soll das alles erfunden sein?«
    »Nein. Irgendetwas wird sich damals schon ereignet haben. Es hat irgendwelche Männer namens Arne, Sven und Hakon und so weiter gegeben, das bestreite ich gar nicht. Ihre Knochen liegen in den Hügelgräbern, wenn sie nicht längst verfault sind. Aber ob sie wirklich solche Heldentaten vollbracht haben, wie es uns die alten Geschichten weismachen wollen? Wohl kaum.«
    »Aber...«
    »Überleg doch mal, Hal! Überleg doch mal, wie sich die Geschichten überschneiden und einander widersprechen, wie unterschiedlich man sie überall im Tal erzählt. Überleg mal, was die Helden alles getan haben sollen. Zum Beispiel unser Ahn Arne. Der konnte Felsbrocken schleudern, groß wie zwei Kuhställe, und mit einem Satz über reißende Flüsse springen. Einmal ist er sogar mit einem Säugling in einer Hand die Wasserfälle hochgeklettert, warum, habe ich leider vergessen.«
    »Kann ja sein, dass sich im Lauf der Zeit die eine oder andere Übertreibung eingeschlichen hat«, räumte Hal ein, »aber...«
    »Was noch? Mit auf dem Rücken gefesselten Händen hat er es mit zehn Gegnern aufgenommen, bloß habe ich keinen blassen Schimmer mehr, mit wem er eigentlich gekämpft hat. Ach ja, dann schlich er sich noch in den Berg und erschlug den Troldkönig und anschließend ging er wieder heim und frühstückte.«
    »Falsch«, widersprach Hal, »es war Abendessenszeit. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass Sven das getan hat.«
    Aud verdrehte die Augen. »Blödsinn! Es war nämlich weder Sven noch Arne. Und du selber bist der beste Beweis dafür. Wem hast du die letzten Wochen nachgeeifert, hm? Deinem Ahnen, nicht wahr? Und was ist dabei herausgekommen? Wie viele Felsbrocken hast du durch die Gegend geschleudert? Über wie viele Flüsse bist du gesprungen? Wie viele abgeschlagene Banditenköpfe bringst du in deinem Handarbeitsbeutel mit heim?«
    »In meinem Handarbeitsbeutel? Ich bin doch kein Mädchen. Wer hat denn so etwas gemacht? Etwa euer Arne?«
    Aud war ein bisschen rot geworden. »Nein, nein, ich glaube, es war Gest oder einer von den anderen Blödmännern. Lenk jetzt bitte nicht ab. Du bist von zu Hause losgezogen, weil du an die alten Ammenmärchen geglaubt hast und weil du selbst eins erleben wolltest, so war’s doch, oder?«
    »Nein, es ging um meinen Onkel...«
    »Nicht nur, gib’s zu.«
    »Na ja...«
    »Na schön, du hast es ein bisschen übertrieben, aber da bist du nicht der Einzige. Auch die anderen verrennen sich in den alten Geschichten. Weißt du noch, wie Brodir und Hord auf eurem Fest über den Vorfahren des jeweils anderen hergezogen sind? Wenn man etwas Beleidigendes über den Ahnen eines anderen sagt, ist das so gut wie eine schallende Ohrfeige. Das ist doch bescheuert. Und weißt du was? Im Grunde geht es dabei nur darum, dass niemand aus der Reihe tanzt.«
    Aud war wieder aufgestanden und ging immer im Kreis herum, stieg leichtfüßig über Balken, duckte sich anmutig unter Dachsparren hindurch, wich geschickt Streben aus und hatte sich so in Rage geredet, dass sie weder auf die Spinnweben achtete, die sich in ihrem Haar verfingen, noch darauf, dass ihr Kleid durch den Schmutz schleifte. Im Halbdunkel loderten ihre Augen förmlich, ihr Gesicht leuchtete. Hal ertappte sich dabei, dass er sie mit offenem Mund anstarrte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie unvermittelt und kam um einen Balken herum. Ihr Zopf hatte sich aufgelöst, das Haar hing ihr ins Gesicht.
    »Ja. Schon. Ich wollte bloß sagen... Ich hab’s wieder vergessen.«
    »Am allerschlimmsten sind die Hügelgräber«, fuhr Aud fort. »Dieser ganze Troldmist. Schon mit der Muttermilch saugen wir die Furcht vor den Biestern ein. Aber niemand hat je einen gesehen. Niemand hat je einen gehört. Niemand...«
    »Das liegt

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