Valley - Tal der Wächter
Gelegenheit preist er mich an wie einen Ochsen auf dem Viehmarkt. Aber lassen wir das. Es ödet mich an.« Ihre Miene hellte sich wieder auf. »Mensch, das war vielleicht knapp, was, Hal? Dass du auf die Idee mit dem Dach gekommen bist! Das wäre mir nicht im Traum eingefallen! Jetzt wird mir klar, wieso du bis jetzt jedes Mal mit heiler Haut davongekommen bist.«
Hal machte ein finsteres Gesicht. »Davongekommen schon. Aber erreicht habe ich nichts.Wozu war das Ganze dann gut? Brodir ist und bleibt tot und ich bin keinen Schritt weiter als am Anfang. Ich bin eher schlimmer dran, denn jetzt muss ich nach Hause zurück und mich wie üblich ausschimpfen und verprügeln lassen. Sven allein weiß, was meine Eltern mit mir anstellen.«
Aud ließ sich neben ihn ins Stroh plumpsen. »Willst du denn wieder nach Hause?«
»Was soll ich denn sonst machen? Durch die Lande ziehen wie ein Heimatloser? Niemand würde mich aufnehmen, dafür kenne ich unser Tal inzwischen zu gut. Man würde mich wie einen Dieb oder Bettler behandeln. Abgesehen davon bin ich ja tatsächlich in etliche Höfe zwischen hier und der Schlucht eingebrochen. Zudem werden die Eirikssons daran interessiert sein, denjenigen zu finden, der ihren Händler Björn umgebracht und ausgeraubt hat.« Hal seufzte. »Nein, ich gehe wieder nach Hause.«
»Wenigstens brauchst du keine standesgemäße Ehe einzugehen, damit dein Vater Ruhe gibt«, sagte Aud mürrisch. »Du bist der Zweitgeborene, dir bleibt das erspart. Mich wird man mit irgendeinem Dummkopf verkuppeln, um den Wohlstand unserer Familie zu mehren, und dann muss ich bis zu meinem Tod neben ihm auf Arnes Richterstühlen sitzen und darüber entscheiden, wer wem ein Schaf geklaut und wer wessen Schwein verwünscht hat und wie viele Hühner der Betreffende als Entschädigung zahlen muss. Hochspannend, das! Meine Tante unterrichtet mich schon ein halbes Jahr lang in Rechtsdingen, und es ist schon jetzt so langweilig, dass ich ihr am liebsten den Hals umdrehen würde.«
»Das tut mir leid für dich, aber es ist immer noch besser als das, was mich erwartet«, antwortete Hal. »Du wirst Schiedsherrin, aber ich werde Bauer auf einem entlegenen Gebirgshof, wo ich bis zu meinem Tod als Pächter meines Bruders schuften darf.«
»Na und? So schlimm kann das ja wohl nicht sein.«
»Denkst du! Weißt du, wie der Hof heißt? Hinter den Sümpfen. Der letzte Pächter ist am Sumpfbrand verreckt. Da oben gibt’s nicht mal Wölfe, weil die nämlich alle ersoffen sind.«
Aud stieß ihr heiseres Lachen aus und auch Hal musste lachen. Es war das erste Mal seit Wochen.
»Ich habe dir hoffentlich nicht wehgetan, oder?«, vergewisserte er sich. »Als ich dich am Zopf gepackt habe.«
»Doch. Es hat scheußlich wehgetan.Vielen Dank übrigens.«
»Das mit unseren Sachen hast du prima hingekriegt.«
»Ja, das hätte uns fast den Kopf gekostet.Was hast du eigentlich in deinem Bündel? Es ist so leicht.«
»Ist auch nicht mehr viel drin. Bloß die gefälschte Troldklaue, mit der mich der Händler erstechen wollte.«
»Weißt du was, Hal...«, sagte Aud nachdenklich, »... schon als wir uns zuerst begegnet sind, habe ich gemerkt, dass du was Besonderes bist. Als du Ragnar das eklige Bier angedreht hast... Du hast vor gar nichts Angst, stimmt’s?«
»Hmm... Jedenfalls bin ich nicht so leicht einzuschüchtern wie meine Eltern – und vielleicht auch dein Vater. Manchmal kriege ich es schon mit der Angst zu tun. Aber dann werde ich jedes Mal irgendwie... sauer und wehre mich. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.«
»Das ist doch ganz einfach oder bist du blöd?«, entgegnete Aud. »Das nennt man Mut.«
»Nein.« Hals Miene verfinsterte sich. »Nein. Ich habe dir doch erzählt, wie es mir in Olafs Schlafzimmer gegangen ist. Da kam es drauf an... und ich bin jämmerlich gescheitert.«
Aud warf den Kopf in den Nacken und ächzte: »Bitte nicht schon wieder! Dein Problem ist, dass du dir die falschen Ziele setzt, Hal Svensson. Auf dem Weg zu unserem Haus hast du hundert mutige Sachen gemacht, bloß eben andere, als du dir vorgenommen hattest. Du hast dir vorgestellt, dass du irgendwo ein Schwert auftreibst, damit Diebe und Ungeheuer in die Flucht schlägst und zu guter Letzt Olaf einen Kopf kürzer machst. Es ist anders gekommen. Darum bist du jetzt enttäuscht. Du brauchst aber nicht enttäuscht zu sein, Hal, weil das sowieso alles Unsinn war. So etwas kommt nur in Märchen vor, es ist bloß erfunden.«
»In
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