Valley - Tal der Wächter
antrieb, waren die Arbeiten nach einem Jahr immer noch nicht einmal zur Hälfte erledigt.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Sven. »Ich brauche mehr Leute.«
Das Tal nördlich des Flusses unterstand dem Helden Rurik. Sven hatte den Eindruck, dass Rurik den einen oder anderen kräftigen Mann übrig hätte. Darum nahm er einen Knüppel und ein langes Seil, ging zum Fluss und sprang hinein. Er schwamm quer durch die reißende Strömung, schüttelte sich am anderen Ufer wie ein Hund, marschierte zum nächstbesten Gehöft und klopfte an. Vier Männer streckten die Köpfe durch die Tür.
»Ich brauche Arbeiter für meine Mauer«, sagte Sven. »Ihr seid gerade recht. Kommt heraus, damit wir uns darüber unterhalten können.«
Die Feldarbeiter kamen mit gezückten Schwertern herausgestürmt, aber Sven schlug sie mit dem Knüppel nieder, band die Bewusstlosen aneinander, schwamm wieder über den Fluss und hieß sie an die Arbeit gehen.
Auf diese Weise verschaffte er sich zwei Dutzend Männer und bald waren die Mauern fertig.
Drei Tage vergingen. Am Morgen des dritten Tages erreichte Ulfar die Nachricht, dass die Hakonssons die Suche auf seinem Besitz beendet hatten und wieder heimkehren würden. Auch die Patrouillen entlang der Talstraße wurden aufgelöst. Es hieß, Hakons Stirn sei umwölkt gewesen, als er sich auf den Heimritt machte. Kaum einer seiner Leute habe den Mut gehabt, sich ihm zu nähern, und niemand habe es gewagt, in seiner Gegenwart zu reden.
Als es Abend wurde, versammelten sich die Bewohner von Arnes Haus zum gemeinsamen Essen in der Halle. Die Wege ringsum leerten sich. Alles war dunkel und ruhig. Nur in der finsteren alten Scheune rührte sich plötzlich etwas. Ein unterdrückter Fluch, dann klatschte jemand auf einen Pferdehintern. Kurz darauf kam eine kleine, in eine lange Kutte gehüllte Gestalt auf einem kleinen, untersetzten Pony aus dem Scheunentor geritten. Die Gestalt warf einen sehnsüchtigen Blick auf die erleuchteten Fenster des Hauses, dann schnalzte sie energisch mit den Zügeln. Das Pony lief kein bisschen schneller, sondern zockelte unverändert schwerfällig noch ein Stück den Weg entlang, bis es auf einen Seitenpfad in den Wald einbog.
In den Tagen im Heuschober hatte sich Hal körperlich erstaunlich gut erholt. Aud hatte ihm etwas zu essen und Wasser zum Waschen gebracht. Mit jedem Tag waren seine Wunden besser verheilt, war er wieder zu Kräften gekommen. Aud hatte seine alten Kleider mitgenommen und auf den Misthaufen geworfen, und Hal trug nun eine graue Jacke aus grobem Stoff mit den violetten Ärmelschlitzen, die ihn als Angehörigen der Arne-Familie auswiesen. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem zerlumpten Herumtreiber, der vom Besitz der Hakonssons geflohen war.
Trotzdem war er vorsichtig, als er jetzt wieder talaufwärts reiste. Er war überwiegend am frühen Morgen und am späten Abend unterwegs und legte sich während der belebten Stunden des Tages irgendwo im Wald neben der Straße schlafen. BeiVollmond nutzte er auch die Nachtstunden. Er vermied alle Gegenden, in denen man sich womöglich an sein Gesicht oder seine Gestalt erinnerte, und machte nur bei abgelegenen Höfen Halt, um seinen Proviant aufzustocken. Seine Umsicht zahlte sich aus. Zu seinem eigenen Erstaunen erreichte er die felsige Einöde unterhalb der Wasserfälle, ohne dass man ihn unterwegs geteert, gefedert, aufgehängt oder mit Pfeilen beschossen hätte, ja ohne dass er überhaupt irgendwem besonders aufgefallen wäre.
Weder Hal noch das Pony, das Aud von der Koppel mit den ausgedienten Pferden geholt hatte, waren in der Verfassung, die Schlucht zügig hinter sich zu bringen. Sie brauchten volle drei Tage für den Aufstieg. Dabei begegneten sie etlichen Reisenden, die talabwärts wollten: drei Wollhändlern aus Gests Haus, die eine Karawane mit prall gefüllten Säcken beladener Pferde bei sich hatten, einem Boten, der von Ruriks Haus zu Thords Haus unterwegs war, und schließlich, unweit der Geröllfelder am Eckzahn, einem jungen Harfenspieler. Alle waren freundlich zu ihm, keiner versuchte, ihn zu erstechen. Trotzdem holten Hal die beunruhigenden Erinnerungen ein, vor allem als er an der kleinen Lichtung mit dem Aschekreis vorbeikam. Diesmal schlug er sein Lager nicht dort auf, sondern begnügte sich mit einem schmalen Felsvorsprung weiter oben, auf dem man die Wasserfälle unablässig tosen hörte.
Als er im Morgengrauen aufwachte, waren sein Mantel und sein Haar voller Reif und ganz steif
Weitere Kostenlose Bücher