Vampir-Expreß
Zusätzlich schützte ihren Sarg noch ein Kreuz, ebenso wie die Gräber der anderen Vampire, die damals den Geheimbund der Blutsauger gebildet hatten. Es konnte also nichts passieren. Und doch blieb immer ein ungutes Gefühl zurück. Eine Frage, ob auch das endgültig vernichtet und tot war, was da in der kalten Erde Transsylvaniens lag?
Das war die große Frage, die unsichtbar und drohend über Petrila schwebte.
Die Menschen hatten ja schon erlebt, dass ein längst vergessener Vampir seinem Grab entstiegen war und einen grausamen Terror verbreitet hatte. Baron von Leppe. Er war von Marek gepfählt worden. Es existierte nur noch sein Erbe, das unheimliche düstere Schloss in den Bergen, das sich Lady X als Stützpunkt ausgesucht hatte. Jetzt stand es leer.
Im Herbst war Marek des Öfteren im Schloss gewesen und war durch die alten, unterirdischen Gänge geschlichen, um nach Überresten zu suchen, doch er hatte nichts gefunden, was auf die Existenz des einen oder anderen Blutsaugers hinwies.
Täglich ging er zum Friedhof. Dort, wo seine Frau Marie lag, die auch einmal ein Vampir gewesen war und von John Sinclair hatte erlöst werden müssen.
Das Grab war stets frisch geschmückt. Marek brachte jeden Tag neue Blumen, und auch die Menschen im Dorf pflegten und verschönerten das Grab, denn Marie war bei jedem sehr beliebt gewesen. Jetzt lag eine dünne Schneedecke über dem Friedhof und auch über dem Ort Petrila. Der Schnee wirkte wie ein Leichentuch, das mit seinem Hauch alles bedeckte. Die Kreuze und Grabsteine waren bleich und erinnerten an gespenstische Wesen mit ausgebreiteten Armen. Wie so oft in diesem feuchten Hochtal hatte sich gegen Abend Dunst gebildet, der in langen Schleiern von den Wäldern und Hängen her wallte und sich über den Ort verteilte, wobei er auch den Friedhof nicht ausschloss, so dass er die Szenerie des kleinen Leichenackers noch unheimlicher machte.
Aber das war Marek gewohnt. Er kannte den Friedhof und fürchtete sich auch nicht vor ihm. Seit seine geliebte Frau hier lag, war er zu seiner zweiten Heimat für ihn geworden.
Der Schnee knirschte unter seinen Sohlen, als er sich vom Grab abwandte und über den schmalen lehmigen Weg schritt, wo die weiße Pracht längst getaut war.
Er atmete schwer und ging gebeugt. Sein Haar war längst grau geworden. Die Strähnen verschwanden unter dem hochgestellten Kragen in seinem Nacken. Das Gesicht wirkte manchmal wie eine düstere Gebirgslandschaft. Eingekerbt waren die Falten und die Spuren eines langen Lebens.
Marek trug eine mit Fell gefütterte Jacke. Die obersten Knöpfe hatte er nicht geschlossen, denn er wollte immer, wenn es nötig war, sehr schnell an seine Waffe gelangen.
Den Pfahl trug er stets bei sich. Aus bestem, hartem Eichenholz geschnitzt. Ein uraltes Erbe, das Marek einmal weitergeben würde, wenn seine Sterbestunde nahte. Er selbst hatte keine Kinder, doch den Pfahl sollte ein würdiger Erbe bekommen. Geisterjäger John Sinclair. Noch lebte Marek. Und er wollte auch weiterleben, denn er hatte sich vorgenommen, die Vampirbrut dort zu vernichten, wo sie auftrat. Tief atmete er ein. Dem Grab seiner Frau hatte er den Rücken zugedreht. Der Wind fuhr in sein Gesicht. Hart lagen die Lippen aufeinander, und er spürte, wie der Wind die Tränen in seinen Augen trocknete. Niemand sollte sehen, dass er noch immer um seine Frau weinte, deshalb hafte er der vom Nebel umwallten Gestalt auch den Rücken zugedreht.
Diese Gestalt war Suko. Wie auch Marek, so wartete der Inspektor ebenfalls auf den Vampir-Express, der in Petrila einlaufen sollte. Eine genaue Zeit war nicht angegeben worden, die beiden Männer rechneten jedoch damit, dass er zwischen Mitternacht und der fünften Morgenstunde kommen würde.
Das Gerücht einer Wallfahrt zum Grab der Lady X machte seine Runde. Und an jedem Gerücht ist etwas Wahres dran. Davon gingen auch Suko und Marek aus, deshalb warteten sie mit so großer Spannung auf das Eintreffen des Zuges.
Suko ging auf den Pfähler zu. Hinter ihm blieb er stehen und legte seine Hand auf die Schulter des Mannes. »Komm«, sagte er, »lass uns woanders hingehen, wir haben hier nichts mehr verloren.«
»Wohin denn?«
»Zu dir.«
Marek hob die Schultern. »Was sollen wir da? Der Zug läuft im Bahnhof ein.«
»Dann warten wir dort auf ihn.«
»Ja, meinetwegen.«
Gebückt schritt der alte Marek neben dem Chinesen her. Den Kopf hielt der Pfähler gesenkt, der Blick war zu Boden gerichtet, und manchmal drangen Worte
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