Vampir-Legende
angesprochen, dieser Weichling. Er hat doch tatsächlich meinen Namen genannt. Darf er das?«
»Nicht ohne deine Erlaubnis.«
»Genau.« Orry nickte. Er drängte seinen Rasta-Freund zur Seite und stand plötzlich vor Igor.
Der schaute ihn nur an, und auch Orry wollte den Blick von den Augen des anderen nicht abwenden, deren Ausdruck ihm aber gar nicht gefiel.
Er hatte damit gerechnet, die Angst dort schimmern zu sehen, das war nicht eingetreten.
Im Gegenteil, der Blick des dunkelhaarigen Gastes war irgendwie sezierend, er ging durch und durch.
Einen Rückzieher konnte sich der Knabe nicht erlauben. Er hätte vor seinen Kumpanen das Gesicht verloren, also mußte er den Weg nach vorn suchen, schaute aber zu Boden und meinte dabei: »Wir sollten sie aus der Ecke holen.«
»Gute Idee.«
Was die Gewalt anging, da kannten sich die drei Straßentypen aus. Sie hatten es lernen müssen, auf der Straße und hier im Viertel zu überleben, sie waren immer wieder auf andere Banden gestoßen, die stärker gewesen waren, aber sie hatten es letztendlich immer geschafft, sich durchzuboxen.
Zwei reichten aus, um die Brüder aus der Ecke an der langen Bar zu holen. Sie hielten Igor und Jacques an den Kragen ihrer Jacken fest, zerrten sie zuerst zu sich heran, wuchteten sie dann herum und schleuderten sie in den Raum hinein, wo die beiden zu Boden fallen sollten. Zum Glück konnten sie den Schwung abfangen und blieben auf den Füßen. Dabei drehten sie sich um die eigene Achse. Das lange Blondhaar Jacques Lacourtes flog in die Höhe, und mit seinen weichen Gesichtszügen sah er tatsächlich aus wie eine Frau.
Orry lachte. »Das ist ein Weib!«
»Die machen wir fertig.«
»Eine Schwuchtel!«
Lulu schaute von der Theke aus zu. Er haßte Gewalt, er konnte es nicht sehen, wenn sich andere schlugen, und er konnte vor allem nicht hinschauen, wenn Blut floß.
»Nein! Nein!« keifte er. »Nicht! Um Himmels willen, nein! Bitte, tut es nicht…«
Keiner kümmerte sich um sein Geschrei. Die drei Straßenräuber waren jetzt in ihrem Element. Den Weg zur Tür hatten sie den Brüdern verbaut, sie bildeten einen Halbkreis, wippten in den Knien, und das kalte Lächeln auf ihren Gesichtern sagte genug.
Sie kamen näher.
Eine diebische Freude hatte sich auf ihre Gesichter gelegt. Die Augen schimmerten hell. Sie waren gewaltbereit. Welche Drogen auch immer ihren Verstand benebelten, sie heizten die Gier noch stärker an, sie würden sie in einen Taumel reißen, bis hin zum Exzeß, der mit dem Begriff Mord umschrieben werden konnte.
Igor drehte den Kopf seinem Bruder zu. Jacques hatte das gleiche getan, und so schauten sich die beiden an. Nur für einen kurzen Moment, dann nickten sie.
»Blut?« flüsterte Igor.
Jacques leckte über seine Lippen. »Und wie!«
»Gut, wir holen sie uns…«
Sie hatten sich flüsternd unterhalten, und die drei Schläger hatten nichts verstanden.
Igor und sein Bruder lächelten. Es war zu dunkel, um ihre Zähne zu sehen, aber es war das Zeichen, daß sie nicht aufgegeben hatten, und keiner der Angreifer ahnte, welche Kräfte in diesen so wenig gestählt wirkenden Körpern steckten.
Orry wollte es wissen. Er sprang vor. Er wollte den Blonden, diesen weibischen Kerl. Er wollte ihm die Haare ausreißen, ihn zu Boden schmettern und ihm die Arroganz aus dem Gesicht treten, das wollte er alles, und es gelang ihm auch, in seine Haare zu greifen und Jacques nach vorn zu zerren. Mit der anderen Hand schlug er in den Magen des Marines. Er wollte den Blonden in die Knie zwingen.
Er sackte zusammen, dann aber kam er hoch, und er entwickelte sich zu einer regelrechten Furie. Plötzlich waren seine Hände im Gesicht des Mannes. Fingernägel wirkten wie Messer und rissen die Haut auf. Blut strömte über das Gesicht. Orry brüllte wie verrückt, mit dieser heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Das war ihm noch nie zuvor passiert.
Er ließ den Blonden los, preßte die Hände vor sein Gesicht und taumelte zurück. An der Theke blieb er stehen, noch immer heulend.
Jacques aber lachte und richtete sein Haar. Den Schock hatten die anderen beiden Schläger sehr rasch überwunden. Sie wollten natürlich nicht aufgeben, sie wollten ihren Freund rächen, und so griffen sie erneut an. Der Rasta-Mann hielt plötzlich ein Stilett in der Hand. Die Klinge funkelte wie ein gefallener Stern, und sie bewegte sich blitzschnell auf den Körper des dunkelhaarigen Igor zu.
Der hätte vielleicht ausweichen können, was er nicht
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