Vampir sein ist alles
mit eingewebten glitzernden Silberfäden. Mir war so kalt, dass ich daran dachte, den Karton mit den Winterpullovern herunterzuholen, damit ich mir etwas Wolliges um die Schultern legen konnte, aber mir war klar, dass es schon bald wieder ziemlich warm draußen werden würde. Nach einem schnellen Zwischenstopp im Bad, wo ich mein Make-up in Ordnung
brachte und mir die Haare föhnte, war ich bereit, Mátyás gegenüberzutreten.
Fast. Abermals strich ich mir über den Bauch. Ich fühlte mich sonderbar wehrlos und unbewaffnet: als wäre mir plötzlich meine Waffe abhandengekommen, die ich sonst immer an der Hüfte trug. IHRE Anwesenheit nicht zu spüren, diese Leere in meinem Inneren, war ein ganz merkwürdiges Gefühl.
Ich atmete tief durch und straffte die Schultern. Ich war immer noch eine Hexe. Ich hatte schon einmal eine Göttin zu mir gerufen, und falls nötig konnte ich es wieder tun. Oder?
Schon, aber irgendwie beschlichen mich leise Zweifel.
Ich traf Mátyás in der Küche. Er hatte meinen Teekessel gefunden, ihn mit Wasser gefüllt und auf den Gasherd gestellt, allerdings auf die Kochstelle vorne links, die nicht richtig brannte.
„Das Ding muss mal gereinigt werden oder so“, bemerkte ich, runzelte wegen der allgemeinen Unordnung in meiner Küche die Stirn und stellte den Kessel auf den rechten Brenner. Meine Astrologiesachen lagen auf dem Tisch, und in der Spüle standen mehrere benutzte Kaffeetassen. „Wahrscheinlich muss der ganze Herd mal durchgecheckt werden.“
„Oder entsorgt“, warf Mátyás ein. „Der ist doch mindestens zwanzig Jahre alt!“
„Mir genügt er“, entgegnete ich patzig.
„Aber diese alten Dinger sind gefährlich. Du solltest z u sehen, dass du ihn loswirst.“
„Ich kann ihn nicht einfach so wegwerfen! Und abgesehen davon, dass ich mir einen neuen Gasherd nicht leisten kann, hat mein Vermieter da wohl auch ein Wörtchen mitzureden.“
„Ich meine, wenn du mit meinem lieben Papa zusammenziehst.“ Mátyás lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und musterte mich völlig ungeniert.
Ich hatte mir zwar trockene Sachen angezogen, aber ohne Lilith fühlte ich mich nackt, und das machte mich empfindlich. „Was ist?“, fuhr ich Mátyás an.
„Du hast kalte Füße bekommen“, stellte er fest. „Ich hoffe, du hast nicht vor, meinen armen Vater sitzen zu lassen.“
„Er ist derjenige, der verschwunden ist, schon vergessen?“
„Keineswegs“, entgegnete Mátyás ernst und sah mich vorwurfsvoll an - als könnte ich es vielleicht vergessen haben. „Also, was den Traum angeht“, sagte er so leise, dass ich ihn fast nicht verstehen konnte, weil der Regen so laut in die Dachrinnen prasselte.
„Ja.“ Plötzlich fielen auch mir die merkwürdigen Bilder wieder ein, die ich vor dem Sturm gesehen hatte. Doch woher wusste Mátyás von meinem Traum? „Das war komisch, eher wie eine Vision. Und währenddessen ist Micah mit meiner Göttin abgehauen.“
Der Teekessel fing an zu pfeifen. Ich holte zwei Tassen aus dem Schrank. Sie waren handgearbeitet, riesengroß und jeweils mit einer kleinen Birne bemalt, die je nach Blickwinkel ein bisschen wie eine Vulva aussah. Ich mochte die Tassen trotzdem, weil fast drei normale Portionen hineinpassten, weshalb sie sich hervorragend für lange Gespräche oder einen faulen Sonntagmorgen eigneten. Ersteres stand mir vermutlich nun bevor. Als ich Mátyás eine Tasse reichte, betrachtete er sie skeptisch und grinste wegen der Birne. Erst als ich den Honig aus dem Schrank holte, wurde mir bewusst, dass er noch gar nicht geantwortet hatte. Er schenkte sich Tee ein und sah mich an, als wäre ich komplett verrückt geworden.
Ich fasste mir an den Bauch, aber ich spürte wieder nur diese Leere. „Ist er wirklich!“, beteuerte ich und bemühte mich, es witzig klingen zu lassen, obwohl es mir eiskalt über den Rücken lief. „Dieser gestaltwandelnde Mistkerl ist mit Lilith durchgebrannt!“
„Garnet, wovon zum Teufel redest du?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ein Werkojote aus meinem Zirkel hat mich dazu überredet, mit ihm einen Zauber zu wirken, um Sebastian zu finden. Aber ich befürchte, es war nur ein Trick, um Lilith zu wecken. Ich glaube, er hat SIE dazu gebracht, mit ihm zu türmen.“ Und das machte mir ein bisschen Angst. Ich korrigiere, es machte mir sogar große Angst. Ohne Liliths Wärme in meinem Bauch fühlte ich mich so leer. IHRE Macht hatte mir zwar auch Angst eingejagt, aber
sie war immer da gewesen, zu meinem Schutz und
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