Vampir sein ist alles
denke, er steht unter einem Bann.“
Mátyás sah mir aufmerksam in die Augen, um zu prüfen, ob ich ihn verstanden hatte. Anscheinend redeten er und Sebastian manchmal in Träumen miteinander. Aber auch das war für mich nichts Besonderes. Mich überraschte vielmehr, dass Sebastian es überhaupt duldete, dass sein Sohn auf diesem Weg mit ihm kommunizierte, denn ansonsten herrschte Funkstille zwischen den beiden. „Sprichst du viel mit ihm?“
Die Tischplatte schien plötzlich sehr interessant für Mátyás zu sein. „Nein. Unser Verhältnis ist etwas gestört, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist. Aber ...“ Er sah mir in die Augen. „Er hat mein ... Eindringen in seine Träume immer bemerkt, und häufig wechseln wir zumindest einen Blick. Diesmal war es, als wäre ich gar nicht da gewesen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Er hat mich total ausgeblendet.“
„Moment mal, soll das heißen, der Traum von dem Heiligen war Sebastians Traum?“ Ich hatte auch diese Vision gehabt.
Mátyás nickte. „Und der springende Punkt ist, dass er diesen Traum normalerweise nur im Todesschlaf hat oder – was seltener vorkommt - wenn er körperliche Schmerzen hat.“
„Du siehst also die Träume anderer?“
Mátyás straffte die Schultern. Seine Wangenmuskeln zuckten. „Ah, jetzt verstehst du endlich! In der Sprache meiner Mutter werde ich budjo shon genannt, was so viel wie,Mondbetrüger' oder ,Traumdieb' bedeutet.“
„Kannst du die Träume von jedem sehen?“, fragte ich. Was würde Mátyás wohl von meinem Traum halten, in dem ich in einem Hotel bin, das eigentlich meine alte Highschool ist, und zu spät zu einer Prüfung oder einem Bewerbungsgespräch zu kommen drohe und den richtigen Raum nicht finde, weil die Treppen wie auf einem Bild von Escher sind und mich nie ans Ziel bringen?
Mátyás seufzte und suchte zwischen den Papieren und Büchern auf dem Tisch einen Platz für seine Tasse. „Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht kontrollieren.“
„Woher weißt du, dass es nicht deine eigenen Träume sind? Ich meine, wie bist du dahintergekommen, dass du nicht einfach nur deine eigenen Träume träumst, in denen andere
Leute vorkommen?“
Er studierte seine Hände. „Ich bin immer der Fremde, der Eindringling. Und die Träumenden sind sich stets bewusst, dass ich eigentlich nicht da sein dürfte.“
„Heiliger Strohsack, Mátyás, du bist der Butzemann!“, rief ich. „Du bist das Monster, dem ich nicht entfliehen kann. Der Typ, der immer versucht, in meine Wohnung einzubrechen.“
„Genau der“, entgegnete er mit einem grimmigen Lächeln und prostete mir mit seiner Tasse zu.
„Passiert es jede Nacht?“
„So gut wie.“
Ich versuchte mir vorzustellen, wie es war, wenn man keine eigenen Träume hatte, sondern immer nur durch die Traumwelten anderer streifte. Es musste ziemlich irritierend sein, nie die Symbolik zu verstehen und sich ständig zu fragen, was es mit der alten Dame in der Ecke auf sich hatte oder was auch immer. Wie sollte man sich denn so im Schlaf regenerieren? Vor allem, wenn man den Traum durch seine Anwesenheit in einen Albtraum verwandelte. „Wow“, sagte ich. „Das ist ja total ätzend.“
Mátyás lachte. „Oh ja, das ist es.“
Ich trank meinen Tee bis zu der honigsüßen Neige aus. Barney spazierte auf dem Weg ins Turmzimmer an uns vorbei. Sie sprang auf den Sims vor dem Fenster, das ich einen Spalt geöffnet hatte, und streckte den Kopf nach draußen. Barney passte zwar kaum auf den schmalen Vorsprung, aber irgendwie gelang es ihr, sich dort zu halten. Der Regen hatte fast aufgehört, und die Luft roch frisch und sauber.
„Hat Sebastians Traum dir irgendeinen Hinweis darauf gegeben, wo er ist oder wer ihn gefangen genommen hat?“
Mátyás, der offenbar völlig in Gedanken versunken war, fuhr zusammen. „Wie kommst du darauf, dass er gefangen gehalten wird?“
„Du hast gesagt, deiner Meinung nach steht er unter einem Bann. Wir haben ihn beide an einen Baum gefesselt gesehen - auch ich hatte diese Vision. Das kann doch nichts anderes bedeuten!“
Die Deckenlampe tauchte die Küche in ein unnatürliches gelbes Licht. Mátyás fuhr mit den Fingern an den Kanten meiner Papierstapel entlang und wich meinem Blick aus. „Um einen Vampir festzuhalten, sind aber ziemlich große magische Kräfte nötig.“
Er klang besorgt, obwohl er eindeutig versuchte, seine Angst nicht zu zeigen. Ich hatte keine gute Antwort für ihn, wie flehentlich er mich auch ansah, und
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