Vampir sein ist alles
Plastikkamms ins Auge fielen, die wie Knochen eines Ungeheuers aus grauer Vorzeit aus der Erde ragten und zum Horizont führten.
Ich dirigierte Mátyás zu den hohen Zinken. Wir waren sehr schnell; als würden wir fliegen und nicht gehen. Sein Bild flimmerte, während er sich auf der anderen Seite an den schwarzen Obelisken entlangbewegte. „Du siehst hier ganz anders aus“, sagte er. „Wusstest du, dass du in deiner Vorstellung blond bist?“
Bis zu diesem Moment hatte ich es nicht gewusst, aber nun sah ich plötzlich mein Traum-Ich als die Garnet vor mir, die ich vor Lilith gewesen war. Als ich an mir herunterschaute, stellte ich fest, dass ich mein Lieblingskleid trug: das mit den Batikbildern von der Venus von Willendorf.
„Lilith sieht auch anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Jünger. Und hübscher“, sagte Mátyás leise, während er mit starrem Blick über meine Schulter schaute. Als ich mich umdrehte, sah ich jedoch nur einen Eulenflügel in der Dunkelheit aufblitzen, sonst nichts.
Die Zinken des Kamms endeten vor einem zweistöckigen Nurdach-Haus. Es waren weder Fenster noch Türen zu sehen, aber Mátyás ging zielstrebig darauf zu. „Normalerweise könnte ich einfach reingehen“, erklärte er, „aber ich sollte wohl besser anklopfen.“
Plötzlich tauchte eine Tür auf, die von Marge geöffnet wurde. Zumindest hielt ich die Frau für Marge. Sie war jung und sportlich. Ihr verändertes Erscheinungsbild schien auch Mátyás zu verblüffen. „Ich frage nur ein Mal“, sagte er mit einem wahren Haifischgrinsen im Gesicht. „Wo ist mein Vater?“
Die gut aussehende grauhaarige Frau zuckte mit den Schultern. „Da, wo die Toten ruhen“, entgegnete sie und schloss die Tür.
Aus der Ebene hinter uns wurde ein Friedhof.
Ich klammerte mich am Türgriff fest, während Mátyás seinen Jaguar mit Höchstgeschwindigkeit durch die Stadt jagte. „Ich hätte es wissen müssen“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Er hat bisher nur vom heiligen Sebastian geträumt, wenn er tatsächlich im Todesschlaf war.“
„Marge hat uns erzählt, dass sie im Büro des Sunset-Memory -Friedhofs arbeitet“, entgegnete ich. „Das ist natürlich der perfekte Ort, um einen Vampir zu verstecken.“
Der Jaguar machte einen Satz über einen Hubbel, und mir wurde flau im Magen. „Sicher“, sagte Mátyás, „wenn man ihm vorher einen Holzpflock durchs Herz jagt.“
Ich schaute auf den Tacho. Der rote Zeiger war bereits bei hundertsechzig. „Kann die Kiste nicht ein bisschen schneller fahren?“
Der Informationstafel zufolge wurde der Friedhof erst um acht Uhr geöffnet. Das gut drei Meter hohe schmiedeeiserne Tor war abgeschlossen. Die Spitzen am oberen Ende der Eisenstangen sahen ziemlich abschreckend aus.
„Warum machen die so etwas?“, fragte ich und rüttelte an einer Stange, doch sie bewegte sich keinen Millimeter.
Mátyás stach seinen Spaten fest in den frisch gemähten Rasen, damit er stehen blieb. „Um Leute wie uns vom Friedhof fernzuhalten.“ Er verschränkte die Hände und beugte sich vor. „Komm, wir machen Räuberleiter. Ich helfe dir rüber.“
Ich schaute zu den gefährlichen Spitzen.
„Mit etwas Ähnlichem haben sie ihn durchbohrt“, ermahnte mich Mátyás.
Ich wäre ihm beinahe in die Arme gesprungen.
Mit seiner Hilfe schaffte ich es, einen Fuß auf die zweite Querstrebe zu setzen, und es gelang mir, über die Spitzen zu steigen, ohne mich zu verletzen. Das andere Bein nachzuholen erwies sich schon als schwieriger.
Doch schließlich landete ich mit einem dumpfen Aufprall auf der anderen Seite im Gras. Als ich sah, wie Mátyás die Schaufel über das Tor warf, krabbelte ich rasch zur Seite. Das taubedeckte Gras war jedoch glitschig, und der Stiel traf mich fast am Kopf. Als Mátyás sich gerade am Tor hochziehen wollte, hörten wir ein Knurren.
Ein zotteliger Kojote kam über die verlassene Straße auf uns zu. Er zog grimmig seine Lefzen herunter, und aus seinem Maul tropfte Speichel.
Mátyás ließ sich wieder auf den Boden fallen. „Ich werde jetzt ganz heldenhaft sein“, sagte er. „Also vermassel es nicht!“
„Aber er ist ein Gott“, warnte ich ihn. „Und du hast keine magischen Kräfte.“
„Keine, wie du sie hast, doch ich bin immerhin der Sohn meines Vaters“, entgegnete er, und ich sah ganz kurz im Licht der Dämmerung eine Gestalt mit Trenchcoat. „Lauf!“, rief er.
Der Kojote kam einen Schritt näher.
Aus dem Augenwinkel registrierte ich,
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