Vampirblut (German Edition)
trösten.
Großvater, über all das Chaos hinweg, hatte ich ihn ganz vergessen. Meine Mutter dachte, ich würde wegen ihm weinen. Dabei hatte ich seit gestern Nachmittag kaum an ihn gedacht. Ich, seine einzige Enkeltochter, hatte Wichtigeres zu tun, als den Tod meines Großvaters zu betrauern. Den Tod, des Mannes, der bis zu dem Tag an dem William in mein Leben trat, der wichtigste Mann in meinem Leben war. Ich hatte ihn einfach vergessen.
Das schlechte Gewissen überflutete mich jetzt und machte meinen Schmerz noch größer. Überwältigt von meinen Gefühlen sank ich in die Arme meiner Mutter. „Es tut mir so leid“, schluchzte ich. „Ich war nicht da für dich.“
„Nein, es braucht dir nicht leidzutun. Ich hätte für dich da sein müssen.“
„Wann ist die Beerdigung“, wollte ich wissen. Wenigstens zu seiner Beerdigung wollte ich nur für meinen Großvater, für meine Mutter und meine Großmutter da sein. Wenigstens an diesem schweren Tag, wollte ich sie nicht im Stich lassen.
„Morgen. Morgen früh. Wir lassen ihn hier in Vallington beisetzen. Er hätte es sich so gewünscht.“
Ich seufzte. Großvater hatte Vallington geliebt. Die Kleinstadt, den Park, die Menschen – einfach alles. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er das alles hier irgendwann einmal verlassen hatte, außer vielleicht für ein paar Tage, wenn er uns in L.A. besuchte. Ein paar Tage im Jahr. Wer würde sich jetzt um seinen Garten kümmern, wer würde sein Ehrenamt in der Kirche übernehmen, wer würde den Kindern der Straße jetzt Süßigkeiten über den Zaun reichen?
Mit meinem Großvater war jemand gegangen, der so viel Freude in das Leben vieler Menschen gebracht hat. Wenn er da war, zog er alle, die um ihn herum waren, mit sich hinein in eine Welt, die von so viel Liebe und Licht umhüllt war.
Ich zog meine Mutter mit mir auf das Sofa, im Wohnzimmer unseres neuen zu Hauses. Ein zu Hause, welches jetzt nur noch von Frauen bewohnt werden würde. „Was muss noch vorbereitet werden? Ich will euch helfen.“ Etwas Ablenkung würde mir gut tun. So müsste ich nicht die ganze Zeit an mein schlechtes Gewissen denken - und an William.
„Eigentlich ist alles vorbereitet. Wir müssen nur noch etwas Essen für den Empfang nach der Beerdigung machen. Oma ist schon in der Küche. Sie kocht heute schon den ganzen Tag. Das bringt sie wohl auf andere Gedanken.“
Ich lachte bitter. Andere Gedanken waren genau das, was ich mir auch wünschte. In den letzten zwei Tagen, hatte ich mehr Kummer ertragen als gut für mich war. Und noch wollte ich mich nicht mit William beschäftigen, noch hatte ich nicht die Kraft daran zu denken, was jetzt mit William war. Ich brauchte dringend Ablenkung.
Meine Großmutter mühte sich gerade mit einem Glas eingelegter Paprika ab. Als ich mich neben sie stellte, reichte sie mir das Glas, damit ich es für sie öffnen konnte. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Ich nahm ihr das Glas ab und drehte den Deckel mit Leichtigkeit auf. Sie lächelte.
Ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte. Noch wollte ich mich nicht mit dieser Auserwählten-Sache befassen, also fragte ich einfach, wie ich ihr helfen könnte.
Eigentlich fand ich diese Empfänge nach Beerdigungen als unnötig – überflüssig. Jeder würde kommen und sein Beileid aussprechen, es würden Unmengen Pasteten und Kuchen verschlungen und das alles im Gedenken an den Verstorbenen. Eine Farce. Ich hoffte, dass ich diese Sache irgendwie umgehen konnte, aber wenigstens bei den Vorbereitungen wollte ich helfen. Nicht der Hilfe wegen, sondern zur Ablenkung.
Es gab viele Dinge, über die ich mir Gedanken machen sollte; William - was mit ihm war und ob es ihm gut ging. Die Sache mit der Auserwählten – an deren Echtheit ich noch immer zweifelte. Aber das waren Dinge, mit denen ich mich jetzt unmöglich beschäftigen konnte.
Leider waren weder meine Großmutter noch meine Mutter heute besonders gute Gesprächspartner. Also bemühte ich mich so gut es ging, mich auf das schneiden von Zwiebeln, Speck und Paprika zu konzentrieren und meine Gedanken nicht in schmerzhaftere Richtungen abdriften zu lassen.
Am Nachmittag hielt ich es dennoch nicht mehr zu Hause aus. Erst wollte ich nur eine Weile spazieren. Eine Weile alleine sein, um in Ruhe über die Dinge nachdenken zu können, mit denen ich mich eigentlich nicht beschäftigen wollte.
Ziellos lief ich durch Vallington. Ich achtete nicht darauf, wo ich hinlief. Ich wollte einfach nur laufen –
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