Vampire Academy 03 ● Schattenträume
waren.
Ich wusste, das Klügste wäre es gewesen, in mein Wohnheim oder zu Lissa zu gehen. Ich hätte die Ruhe gebrauchen können, und durch das Band spürte ich auch, dass sie nach mir rief. Sie machte sich Sorgen. Sie hatte Angst. Aber ich wusste, dass sie schon bald von den Neuigkeiten erfahren würde. Sie brauchte mich nicht, und ich wollte sie nicht sehen.
Ich wollte niemanden sehen. Also ging ich statt in mein Wohnheim in die Kapelle. Ich musste mich irgendwie beschäftigen, bis die Höhlen untersucht werden konnten. Beten war da genauso gut wie alles andere.
Mitten am Tag war die Kapelle normalerweise verlassen, diesmal aber nicht. Es hätte mich nicht überraschen sollen. Eingedenk des Sterbens und der Tragödien der letzten vierundzwanzig Stunden war es nur natürlich, dass die Leute Trost suchten. Einige saßen allein da, andere in Gruppen. Sie weinten. Sie knieten. Sie beteten. Einige starrten einfach ins Leere, offenkundig außerstande zu glauben, was geschehen war. Father Andrew ging umher und sprach mit vielen von ihnen.
Ich fand in der hintersten Ecke eine leere Reihe und setzte mich. Dann zog ich die Knie hoch, schlang die Arme darum und legte den Kopf darauf. An den Wänden wachten Ikonen von Heiligen und Engeln über uns alle. Dimitri konnte nicht tot sein. Auf keinen Fall konnte er tot sein.
Gewiss würde ich es wissen, wenn er es gewesen wäre. Niemand konnte der Welt ein solches Leben wegnehmen. Niemand, der mich im Bett im Arm gehalten hatte, wie er es gestern noch getan hatte, konnte wirklich tot sein. Wir waren zu warm gewesen, zu lebendig. Etwas Derartigem gegenüber konnte der Tod einfach keine Macht besitzen.
Ich trug Lissas chotki am Handgelenk und fuhr mit den Fingern über das Kreuz und die Perlen. Verzweifelt versuchte ich, meine Gedanken in Form von Gebeten zu ordnen, aber ich wusste nicht, wie. Wenn es Gott wirklich gab, überlegte ich, so war Er mächtig genug, um zu wissen, was ich wollte, auch ohne dass ich die richtigen Worte sprach.
Stunden verstrichen. Die Leute kamen und gingen. Ich wurde es müde dazusitzen und streckte mich schließlich auf der Bank aus. Von der goldbemalten Decke schauten weitere Heilige und Engel auf mich herunter. So viel göttliche Hilfe, dachte ich, aber was taten sie denn wirklich an Gutem?
Mir war nicht einmal klar, dass ich eingeschlafen war, bis Lissa mich weckte. Sie sah selbst wie ein Engel aus, das helle Haar hing ihr lang und offen ums Gesicht. Ihre Augen waren ebenso sanft und mitfühlend wie die der Heiligen. „Rose”, sagte sie. „Wir haben überall nach dir gesucht. Warst du die ganze Zeit hier?”
Müde und mit brennenden Augen richtete ich mich auf. Wenn man bedachte, dass ich die Nacht zuvor nicht geschlafen und dann an einem gewaltigen Angriff teilgenommen hatte, war meine Müdigkeit verständlich. „So ziemlich”, antwortete ich.
Sie schüttelte den Kopf. „Das war vor Stunden. Du solltest etwas essen.”
„Ich habe keinen Hunger.” Vor Stunden. Ich umklammerte ihren Arm. „Wie spät ist es? Ist die Sonne schon aufgegangen?”
„Nein. Bis dahin dauert es noch, hm, fünf Stunden.” Fünf Stunden. Wie konnte ich so lange warten?
Lissa berührte mein Gesicht. Ich spürte das Brennen ihrer Magie durch unser Band, dann floss das warme und kalte Kribbeln durch meine eigene Haut. Prellungen und Schnittwunden verschwanden. „Du solltest das nicht tun”, sagte ich.
Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich habe es den ganzen Tag lang getan. Ich habe Dr. Olendzki geholfen.”
„Das habe ich gehört, aber.... wow. Es fühlt sich einfach so seltsam an. Wir haben es immer verborgen gehalten, verstehst du?”
„Jetzt spielt es keine Rolle mehr, wenn alle Bescheid wissen”, erwiderte sie mit einem Achselzucken. „Nach allem, was geschehen ist, musste ich helfen. So viele Leute sind verletzt, und wenn es bedeutet, dass mein Geheimnis herauskommt .... nun, früher oder später musste es passieren. Adrian hat ebenfalls geholfen, obwohl er nicht genauso viel bewirken kann.”
Und dann traf es mich. Ich richtete mich auf. „Oh Gott, Liss. Du kannst ihn retten. Du kannst Dimitri helfen.”
Tiefer Kummer erfüllte ihr Gesicht und das Band. „Rose”, sagte sie leise. „Es heißt, Dimitri sei tot.”
„Nein”, widersprach ich. „Er kann nicht tot sein. Du verstehst nicht.... ich bin mir ganz sicher, er wurde nur verletzt. Allerdings.... wahrscheinlich schwer. Aber wenn du da bist, wenn sie ihn zurückholen,
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