Vampire Academy 05
auf. Mikhail stand vor mir. Im Licht der Komplikationen, die sich durch den Victor-Zwischenfall ergeben hatten, hatte ich Mikhails Beteiligung an unserer Flucht beinahe vergessen. Ich legte die Akten beiseite und bedachte ihn mit einem kleinen Lächeln.
„Ja, schon komisch, die Wege des Schicksals, hm? Tatsächlich wollen sie jetzt sogar, dass ich hier bin.“
„In der Tat. Sie sitzen ganz schön in der Tinte, wie ich höre.“
Mein Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse. „Erzählen Sie mir mehr.“ Ich sah mich um, obwohl ich wusste, dass wir allein waren. „Sie haben doch keine Schwierigkeiten bekommen, oder?“
Er schüttelte den Kopf. „Niemand weiß, was ich getan habe.“
„Gut.“ Dann war ja zumindest eine Person unversehrt aus diesem Debakel hervorgegangen. Mein Gewissen hätte es nicht ertragen können, wenn auch er geschnappt worden wäre.
Mikhail ließ sich auf die Knie nieder, so dass wir auf gleicher Augenhöhe waren, dann legte er die Arme auf den Tisch, an dem ich saß. „Hatten Sie Erfolg? Hat es sich gelohnt?“
„Diese Frage ist schwer zu beantworten.“
Er zog eine Augenbraue hoch.
„Es sind einige … nicht so erfolgreiche Dinge passiert. Aber wir haben tatsächlich herausgefunden, was wir wissen wollten – oder, nun ja, wir denken jedenfalls, dass wir es herausgefunden haben.“
Ihm stockte der Atem. „Wie man einen Strigoi zurückholt?“
„Ich glaube, ja. Wenn unser Informant die Wahrheit gesagt hat. Nur dass wir, selbst wenn er die Wahrheit gesagt hat … na ja, es ist nicht einfach durchzuführen. Genaugenommen ist es sogar beinahe unmöglich.“
„Was ist unmöglich?“
Ich zögerte. Mikhail hatte uns geholfen, aber er gehörte nicht zum Kreis meiner Vertrauten. Doch im gleichen Moment sah ich diesen gehetzten Ausdruck in seinen Augen, den ich zuvor schon einmal gesehen hatte. Der Schmerz über den Verlust seiner Geliebten quälte ihn noch immer. Er würde ihn immer quälen. Würde es ihm mehr schaden als nutzen, wenn ich ihm erzählte, was ich in Erfahrung gebracht hatte? Würde ihn diese flüchtige Hoffnung nur noch mehr verletzen?
Schließlich beschloss ich, es ihm zu sagen. Selbst wenn er es anderen erzählte – und ich glaube nicht, dass er das tun würde –, würden es die meisten wohl ohnehin mit einem Lachen abtun. Es konnte also nichts schaden. Der wirkliche Ärger würde kommen, wenn er irgendjemandem von Victor und Robert erzählte – aber ihre Beteiligung an der Sache brauchte ich ihm gegenüber ja nicht zu erwähnen. Im Gegensatz zu Christian war es Mikhail offenbar nicht in den Sinn gekommen, dass der Gefängnisausbruch, der in den Moroi-Nachrichten eine so große Rolle spielte, von Teenagern durchgezogen worden war, die herauszuschmuggeln er geholfen hatte. Mikhail würde wahrscheinlich an überhaupt nichts denken, das sich nicht darum drehte, seine Sonya zu retten.
„Man braucht dazu einen Geistbenutzer“, erklärte ich. „Und einen mit dem Element Geist belegten Pflock, und dann muss er … oder sie … den Strigoi damit pfählen.“
„Geist …“ Dieses Element war für die meisten Moroi und Dhampire noch immer etwas Fremdes – aber nicht für ihn. „Wie Sonya. Ich weiß, dass Geist sie angeblich reizvoller macht … aber ich schwöre, sie hat das niemals gebraucht. Sie war aus sich heraus schön.“ Wie immer nahm Mikhails Gesicht den traurigen Ausdruck an, den es jedes Mal dann zeigte, wenn Ms Karp erwähnt wurde. Ich hatte ihn niemals wirklich glücklich erlebt, seit ich ihn kennengelernt hatte, und dachte, dass er wahrscheinlich ziemlich gut aussah, falls er jemals aufrichtig lächelte. Plötzlich schien ihm sein romantischer Ausrutscher peinlich zu sein, und er wurde wieder sachlich. „Welcher Geistbenutzer könnte denn einen Strigoi pfählen?“
„Keiner“, sagte ich entschieden. „Lissa Dragomir und Adrian Ivashkov sind die einzigen Geistbenutzer, die ich überhaupt kenne – na ja, abgesehen von Avery Lazar.“ Ich würde Oksana und Robert lieber nicht erwähnen. „Keiner von ihnen hat die Fähigkeiten, das zu tun – das wissen Sie ja genauso gut wie ich. Und Adrian hat ohnehin kein Interesse daran.“
Mikhail war klug und verstand auch, was ich nicht aussprach. „Aber Lissa hat Interesse?“
„Ja“, gab ich zu. „Doch sie würde Jahre brauchen, um es zu lernen. Wenn nicht noch länger. Und sie ist die Letzte ihres Geschlechts. Man darf ihr Leben nicht so aufs Spiel setzen.“
Die Wahrheit meiner Worte traf
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