Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
Hinweise, was sie als ein vielversprechendes Zeichen wertete. Nun wäre sie gewiss bald am Ziel, und dann konnte sie einfach darauf warten, dass jemand kam und sie abholte. Plötzlich traf sie eine Erkenntnis. Die Plane. Die Plane war als Sonnenschutz gedacht, meinte sie. Sie konnte sie benutzen.
Das munterte sie auf, ebenso wie der nächste Gewinn: weiteres Wasser sowie ein breitkrempiger Schlapphut, der ihr Gesicht vor der Sonne beschattete. Leider stellte sich anschließend heraus, dass das, was eine kurze Etappe des Marsches zu sein schien, mehr als doppelt so lang war, wie sie erwartet hatte. Als sie endlich den nächsten Hinweis erreichte, war es wichtiger für sie, eine Trinkpause einzulegen, als das auszugraben, was die Wächter sonst noch für sie hingelegt hatten.
Ich war mit dem Herzen bei ihr und wünschte mir so sehr, ihr helfen zu können. Es war doch meine Aufgabe, sie zu beschützen. Sie sollte nicht allein sein. Oder vielleicht doch? War auch dies Teil der Prüfung? In einer Welt, in der Royals fast immer von Wächtern umgeben waren, musste diese Abgeschiedenheit ein großer Schock sein. Moroi waren robust und verfügten über hervorragende Sinne, aber sie waren nicht für extreme Hitze und anspruchsvolles Terrain geschaffen. Ich hätte den Weg wahrscheinlich mühelos entlangjoggen können. Zugegeben, dafür war ich mir nicht sicher, ob ich Lissas logische Fähigkeiten bei der Entschlüsselung der Hinweise besessen hätte.
Lissas letzte Belohnung waren Feuerstein und Stahl – nicht, dass sie eine Vorstellung davon gehabt hätte, worum es sich dabei handelte. Ich erkannte in ihnen sofort die Werkzeuge zum Feuermachen, kam aber beim besten Willen nicht dahinter, warum sie an einem Tag wie diesem ein Feuer entzünden sollte. Mit einem Achselzucken tat sie die Gegenstände in ihren Beutel und ging weiter.
Und das war der Augenblick, da es anfing, kalt zu werden. Und zwar richtig kalt.
Zuerst begriff sie es nicht ganz. Schließlich schien die Sonne doch noch immer grell vom Himmel. Ihr Gehirn sagte ihr, dass das, was sie fühlte, unmöglich war, aber ihre Gänsehaut und ihre klappernden Zähne behaupteten etwas anderes. Sie krempelte ihre Ärmel wieder herunter, beschleunigte ihren Schritt und wünschte, dass zu der plötzlichen Kälte zumindest noch schützende Wolken treten mochten. Wie sie so immer schneller ging und sich auch immer mehr verausgabte, wurde ihr ein wenig wärmer.
Dann setzte der Regen ein.
Zuerst war es ein Dunst, danach ging dieser Dunst in einen Nieselregen und schließlich in einen stetigen Vorhang aus Wasser über. Ihr Haar und ihre Kleidung waren schnell durchnässt und machten die Kälte nur noch schlimmer. Trotzdem.... die Sonne schien nach wie vor, und ihr Licht reizte Lissas empfindliche Haut, bot ihr aber – gleichsam als Gegenleistung – keinerlei Wärme.
Magie, begriff sie. Dieses Wetter ist magisch. Es war Teil der Prüfung. Irgendwie hatten sich die Luft-und Wasserbenutzer der Moroi zusammengetan, um dem heißen, sonnigen Wetter zu trotzen. Deswegen hatte sie eine Plane bekommen – als Schutz vor Sonne und Regen. Sie erwog, die Plane gleich herauszuholen und wie einen Umhang zu tragen, entschied sich dann aber schnell, doch noch so lange abzuwarten, bis sie das Ziel erreichte. Sie hatte jedoch keine Ahnung, wie weit sie noch davon entfernt sein mochte. Zwanzig Schritte? Zwanzig Meilen? Die Kälte des Regens kroch über ihren Körper und drang unter ihre Haut. Es war ein Elend.
Das Handy in der Tasche war ihre Fahrkarte aus dem Wald heraus. Es war noch kaum später Nachmittag. Sie musste eine lange Zeit warten, bevor diese Prüfung zu Ende war. Sie brauchte bloß einen einzigen Anruf zu machen .... einen Anruf, und sie wäre aus diesem Schlamassel heraus und könnte sich wieder dem widmen, was sie bei Hofe zu tun hatte. Nein. Ein kleines Korn der Entschlossenheit keimte doch in ihr. Bei dieser Herausforderung ging es nicht mehr um den Moroithron oder um Tatianas Ermordung. Es war eine Prüfung, die sie für sich selbst ablegen wollte. Sie hatte bisher ein leichtes und behütetes Leben geführt und sich von anderen beschützen lassen. Die Sache hier würde sie allein durchstehen – und sie würde siegen.
Diese Entschlossenheit führte sie zum Ziel auf der Karte, einer von Bäumen umgebenen Lichtung. Zwei der Bäume waren klein und standen dicht beieinander, daher glaubte Lissa, dass sie die Plane zu einem annehmbaren Unterschlupf darüber legen könnte. Ihre
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