Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
zu mir um. „Haben Sie ihr geholfen? Haben Sie sie von dort weggebracht?“
„Ja“, antwortete ich und versuchte, Dimitris sanfte Art nachzuahmen. Lissa und ich waren für eine Weile aus St. Vladimir geflohen, unter anderem wegen Sonyas Warnungen. „Wir sind weggegangen und dann zurückgekehrt, und, ähm, wir konnten aufhalten, was Lissa so gequält hat.“ Ich hielt es für keine gute Idee, Sonya wissen zu lassen, dass die Sache – oder vielmehr die Person –, die Lissa gequält hatte, jetzt dort draußen im Wohnzimmer saß. Ich trat einen Schritt vor. „Und Sie können Lissa ebenfalls helfen. Wir müssten wissen, ob .... “
„Nein“, unterbrach mich Dimitri. Der warnende Blick, den er mir zuwarf, schien mir alles andere als sanft. „Noch nicht.“
„Aber .... “
„Noch nicht.“
Ich funkelte ihn meinerseits wütend an, sagte aber nichts mehr. Ich war zwar durchaus dafür, Sonya ihre Erholungszeit zuzubilligen, aber wir konnten doch nicht ewig warten. Die Uhr tickte, und wir mussten allmählich mal herausfinden, was Sonya wusste. Ich hatte das Gefühl, dass uns Dimitri unmittelbar nach seiner Rückverwandlung diese Informationen durchaus hätte geben können. Natürlich war er früher nie labil gewesen, also hatte er in dieser Hinsicht auch irgendwie einen Vorteil gehabt. Und trotzdem. Wir konnten hier in Kentucky doch nicht ewig so weiter Vater, Mutter, Kind spielen.
„Darf ich meine Blumen sehen?“, fragte Sonya. „Darf ich nach draußen gehen und meine Blumen sehen?“
Dimitri und ich wechselten einen Blick. „Natürlich“, sagte er.
Wir gingen alle zur Tür, und das war der Augenblick, in dem ich fragen musste: „Warum haben Sie die Blumen angepflanzt, nachdem Sie .... als Sie das waren, was Sie waren?“
Sie hielt inne. „Ich habe doch immer Blumen gehabt.“
„Ich weiß. Ich erinnere mich. Sie waren ganz zauberhaft. Die Blumen hier sind ebenfalls zauberhaft. Ist das auch der Grund, warum .... ich meine, wollten Sie einfach einen hübschen Garten haben, selbst als Strigoi?“
Die Frage kam unerwartet und schien sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich wollte die Hoffnung auf eine Antwort schon aufgeben, aber da sagte sie schließlich: „Nein. Ich habe niemals an Schönheit gedacht. Sie waren .... ich weiß auch nicht. Das war eine Beschäftigung. Ich hatte immer Blumen gepflanzt. Ich musste eben feststellen, ob ich es nach wie vor konnte. Es war wie .... eine Prüfung meiner Fähigkeiten, glaube ich.“
Abermals sah ich Dimitri in die Augen. Aha! Schönheit war also kein Teil ihrer Welt gewesen. Es war genauso, wie ich es ihm erklärt hatte. Strigoi waren notorisch überheblich, und es schien ganz so, als seien die Blumen lediglich dazu gedacht gewesen, ihre Tüchtigkeit zur Schau zu stellen. Ihre Pflege war außerdem eine vertraute Gewohnheit, und ich erinnerte mich daran, dass Dimitri als Strigoi sogar Westernromane gelesen hatte. Die Existenz als Strigoi mochte eine Person zwar das Gefühl für Güte und Moral kosten, aber alte Angewohnheiten und Hobbys blieben dennoch erhalten.
Wir brachten sie ins Wohnzimmer und platzten dabei in ein Gespräch zwischen Victor und Robert. Sonya und Robert erstarrten beide und musterten einander abschätzend. Victor schenkte uns sein übliches wissendes Lächeln.
„Sie ist also wieder auf den Beinen. Haben wir denn schon herausgefunden, was wir wissen müssen?“
Dimitri warf ihm einen Blick zu, ähnlich dem, den auch ich erhalten hatte, als ich ebenfalls hatte Fragen stellen wollen. „Noch nicht.“
Sonya riss den Blick von Robert los und ging schnell auf die Patiotür zu, wo sie beim Anblick unseres schlampigen Reparaturversuchs innehielt. „Sie haben meine Tür eingetreten“, sagte sie.
„Leider, Kollateralschaden“, erwiderte ich. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Dimitri die Augen verdrehte.
Da es hier keiner Führung bedurfte, öffnete Sonya die Tür und trat hinaus. Sie blieb jäh stehen, zog scharf die Luft ein und starrte nach oben. Der Himmel strahlte von einem grandiosen, wolkenlosen Blau, und die Sonne war jetzt über den Horizont gestiegen und tauchte alles in ein goldenes Licht. Ich ging ebenfalls nach draußen und spürte die Wärme dieses Lichtes auf der Haut. Ein wenig von der Kälte der Nacht war zwar noch vorhanden, aber uns stand ein heißer Tag bevor.
Alle anderen kamen ebenfalls heraus, doch Sonya bemerkte es überhaupt nicht. Sie streckte die Hände gen Himmel, als wollte sie die Sonne ergreifen und
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