Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
Messers Schneide, ob die Wahl auf Tatiana Ivashkov oder auf Jacob Tarus fallen würde. Das war damals eine sehr knappe Sache. Die Familie der Tarus’ sind noch immer verstimmt darüber.“
Lissa hatte noch nie etwas davon gehört. „Warum hat mein Großvater die Kandidatur zurückgezogen?“
„Weil Ihr Bruder gerade geboren worden war. Frederik kam zu dem Schluss, dass er seine Energie eher seiner Familie widmen musste und nicht einer Nation.“
Lissa konnte das gut nachvollziehen. Wie viele Dragomirs mochte es damals gegeben haben? Ihren Großvater, ihren Vater und André – und ihre Mutter, die aber nur eine angeheiratete Dragomir gewesen war. Eric Dragomir hatte keine Geschwister gehabt. Lissa wusste nur wenig über ihren Großvater, doch an seiner Stelle, so befand sie, hätte sie ebenfalls lieber mehr Zeit mit ihrem Sohn und ihrem Enkel verbringen wollen, statt sich die endlosen Reden anzuhören, mit denen sich Tatiana hatte herumschlagen müssen.
Lissas Gedanken waren etwas abgeschweift, und die alte Frau beobachtete sie sorgfältig. „Ist .... das die Prüfung?“, fragte Lissa, als das Schweigen bereits zu lange gedauert hatte. „Ist sie so etwas wie, hm, wie ein Vorstellungsgespräch?“
Die alte Frau schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist das hier.“ Sie wickelte den Gegenstand auf ihrem Schoß aus. Es war ein Becher – ein Kelch oder ein Pokal. Ich bin mir nicht sicher, um was genau es sich handelte. Aber der Kelch war wunderschön und aus einem Silber gefertigt, das in seinem eigenen Licht zu strahlen schien. Die Ränder waren mit blutroten Rubinen besetzt, die jedes Mal glitzerten, wenn die alte Frau den Kelch bewegte. Sie betrachtete ihn voller Zuneigung.
„Über tausend Jahre alt, und er glänzt noch immer.“ Sie griff nach dem Krug und füllte den Kelch mit Wasser, während Lissa und ich ihre Worte verarbeiteten. Tausend Jahre? Ich war zwar keine Expertin für Metall, aber selbst ich wusste, dass Silber im Verlauf einer solchen Zeitspanne hätte anlaufen müssen. Die Frau hielt Lissa den Kelch hin. „Trinken Sie davon. Und wenn Sie aufhören wollen, sagen Sie einfach: Aufhören.“
Lissa griff nach dem Kelch, aufgrund der seltsamen Anweisung verwirrter denn je. Was sollte aufhören? Sollte sie nicht weitertrinken? Sobald ihre Finger das Metall berührten, verstand sie es jedoch. Na ja, irgendwie. Ein Kribbeln durchlief sie, aber eines, das sie gut kannte.
„Dieser Kelch ist verzaubert“, sagte sie.
Die alte Frau nickte. „Getränkt mit allen vier Elementen und einem vor langer Zeit schon in Vergessenheit geratenen Zauber.“
Und er ist zudem mit Geist verzaubert worden, dachte Lissa. Auch das musste in Vergessenheit geraten sein, und es machte sie nervös. Elementarzauber hatten unterschiedliche Wirkungen. Erdzauber – wie die Tätowierung, die man ihr in den Arm geritzt hatte – waren häufig mit kleineren Zwangzaubern verbunden. Die Kombination aus allen vier Elementen in einem Pflock oder einem Schutzzauber bewirkte einen Ausbruch von Leben, der die Untoten fernhielt. Aber Geist .... nun, sie lernte schnell, dass Geistzauber eine breite Palette unberechenbarer Wirkungen haben konnten. Das Wasser aktivierte den Zauber zweifellos, aber Lissa hatte das Gefühl, dass Geist die Schlüsselrolle spiele. Obwohl es die Macht war, die in ihrem Blut brannte, machte es ihr trotzdem Angst. Der in diesen Kelch gewobene Zauber war vielschichtig und überstieg Lissas Fähigkeiten bei Weitem. Sie fürchtete sich vor dem, was er bewirken würde. Die alte Frau sah sie starren Blicks an.
Lissa zögerte nur noch einen Moment länger. Sie trank.
Die Welt verblasste und materialisierte sich dann neu, und zwar zu etwas völlig anderem. Sie und ich erkannten beide, was es war: ein Geisttraum.
Sie stand nicht mehr in dem schlichten Raum, sondern im Freien, und der Wind peitschte ihr das lange Haar ins Gesicht. Sie schob es zur Seite, so gut sie es vermochte. Andere Leute standen um sie herum, allesamt in Schwarz, und sie erkannte schnell die Kirche und den Friedhof des Hofes. Lissa selbst trug Schwarz und dazu einen langen Wollmantel als Schutz gegen die Kälte. Sie waren um ein Grab versammelt, ein Priester stand in der Nähe; einzig seine Amtsroben verliehen diesem grauen Tag Farbe.
Lissa trat einige Schritte vor und bemühte sich zu erkennen, wessen Name auf dem Grabstein stand. Was sie entdeckte, erschreckte mich jedoch noch mehr als sie: ROSEMARIE HATHAWAY.
Mein Name war in majestätischer
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