Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
Jill. Sie suchte Abenteuer und konnte noch immer kaum mit einem Jungen sprechen, ohne rot zu werden. Ihr Verlangen, Selbstverteidigung zu erlernen, war halb ein jugendlicher Impuls und halb der Instinkt, ihre Leute zu beschützen. Wenn sie in die Welt der Royals eintrat, konnte sie, nüchtern betrachtet, ihren Leuten doch ebenfalls helfen – wenn auch nicht so, wie sie es jemals erwartet hätte. Und es würde bedeuten, in die dunkle, finstere Seite der Natur verwickelt zu werden, die den Hof manchmal erfüllte.
Emily schien mein Schweigen als Zustimmung zu werten. Eine Mischung aus Triumph und Erleichterung glitt ihr übers Gesicht und verschwand genauso schnell wieder, als Jill plötzlich das Wort ergriff.
„Ich tue es.“
Wir alle drehten uns zu ihr um und starrten sie an. Bisher hatte ich sie voller Mitgefühl betrachtet und ein Opfer in ihr gesehen. Jetzt war ich verblüfft darüber, wie tapfer und entschlossen sie wirkte. Ihr Gesichtsausdruck schien zwar immer noch von ein wenig Furcht und Schock durchmischt, aber da war auch etwas Stählernes in ihr, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.
„Was?“, rief Emily.
„Ich tue es“, wiederholte Jill, diesmal mit festerer Stimme. „Ich werde Lissa helfen und .... und den Dragomirs. Ich werde mit Rose an den Hof zurückkehren.“
Ich fand, dass es in diesem Moment nicht wichtig war, die ungezählten Schwierigkeiten zu erwähnen, die ich dabei hätte, auch nur in die Nähe des Hofes zu gelangen. Ehrlich gesagt, ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich nur noch improvisierte, obwohl es eine Erleichterung bedeutete, dass Emilys Zorn jetzt nicht mehr mir galt.
„Das tust du nicht! Ich lasse dich nicht einmal in die Nähe des Hofes.“
„Du kannst diese Entscheidung aber nicht für mich treffen!“, rief Jill. „Ich bin doch kein Kind mehr.“
„Du bist aber gewiss auch keine Erwachsene“, gab Emily zurück.
Die beiden begannen zu streiten, und schon bald mischte sich John ein, um seine Frau zu unterstützen. Inmitten des Familiengezänks beugte sich Sydney zu mir vor und murmelte: „Ich wette, du hättest nie gedacht, dass der schwierigste Teil der Suche nach deiner Retterin darin bestünde, ihre Mutter dazu zu bringen, dass sie ihr erlaubt, abends länger aufzubleiben.“
Das Bedauerliche an ihrem Scherz war der Umstand, dass er irgendwie schon der Wahrheit entsprach. Wir brauchten Jill, und diese Komplikation hatte ich gewiss nicht vorhergesehen. Was, wenn Emily sich doch weiter weigerte? Offensichtlich war sie schon seit einer geraumen Zeit – sagen wir, seit fünfzehn Jahren – ziemlich versessen darauf gewesen, Jills Abstammung geheim zu halten. Ich hatte das Gefühl, dass es Jill durchaus zuzutrauen wäre, wegzulaufen und an den Hof zu gehen, wenn ihr nichts anderes übrig blieb. Und mir wäre es zuzutrauen, ihr dabei zu helfen.
Auf einmal mischte sich Sonya unerwartet in das Gespräch ein. „Emily, hast du mir denn nicht zugehört? Das alles geschieht irgendwann ohnehin einmal, mit deiner Erlaubnis oder ohne sie. Wenn du Jill jetzt nicht gehen lässt, wird sie in der nächsten Woche gehen. Oder nächstes Jahr. Oder in fünf Jahren. Der Punkt ist jedoch, es wird geschehen.“
Emily sackte gegen den Stuhl, während ihr Gesicht verfiel. „Nein. Ich will das nicht.“
Sonyas hübsches Gesicht wurde bitter. „Das Leben schert sich aber leider nicht immer darum, was wir wollen. Handle jetzt, solange du tatsächlich verhindern kannst, dass daraus eine Katastrophe wird.“
„Bitte, Mom“, flehte Jill. Ihre jadegrünen Dragomiraugen musterten Emily voller Zuneigung. Ich wusste, dass Jill sich vielleicht wirklich über das Verbot ihrer Mutter hinwegsetzen und davonlaufen würde – aber sie wollte es nicht. Nicht, wenn es nicht sein musste.
Emily starrte ins Leere, und in ihren Augen, die von langen Wimpern umkränzt waren, zeigte sich Mutlosigkeit. Obwohl sie meinen Plänen im Weg stand, wusste ich, dass sie es aus echter Liebe und Sorge heraus tat – also aus Eigenschaften, die Eric wahrscheinlich zu ihr hingezogen hatten.
„In Ordnung“, sagte Emily schließlich. Sie seufzte. „Jill darf gehen – aber ich werde mitgehen. Du wirst dich diesem Ort nicht ohne mich stellen.“
„Oder ohne mich“, erklärte John. Er wirkte zwar noch immer verwirrt, war aber entschlossen, seine Frau und seine Stieftochter zu unterstützen. Jill betrachtete sie beide voller Dankbarkeit und erinnerte mich erneut daran, dass ich soeben eine
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