Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
jeden Fall so lange, bis die aufgehende Sonne den durchscheinenden Stoff des Zelts erleuchtete. Mehr Licht brauchten meine Augen gar nicht, um Dimitri zu sehen, die fein gemeißelten Linien seines Gesichts und die Weichheit seines Haares, wie er so neben mir lag. Ich sehnte mich so sehr danach, dieses Haar zu berühren und festzustellen, ob es sich noch so anfühlte wie früher. Das war natürlich ein dummer Gedanke. Sein Haar wäre immer noch dasselbe. Trotzdem .... der Drang war da, und schließlich gab ich ihm nach und strich mit den Fingern sachte über einige verirrte Strähnen. Sie waren glatt und seidig, und bei dieser winzigen Berührung lief mir ein Schauder über den Rücken. Außerdem weckte sie ihn.
Er öffnete die Augen und war sofort auf der Hut. Ich erwartete, dass er von mir wegspringen werde, aber stattdessen schätzte er lediglich die Situation ein – und rührte sich nicht. Ich ließ die Hand auf seinem Gesicht liegen und streichelte weiter sein Haar. Unsere Blicke trafen sich, und so vieles ging nun zwischen uns hin und her. In diesen Sekunden war ich nicht mit ihm in einem Zelt, auf der Flucht vor jenen, die uns für Schurken hielten. Es gab auch keinen Mörder zu fangen, kein Strigoitrauma zu überwinden. Da waren nur er und ich und die Gefühle, die schon so lange zwischen uns gelodert hatten.
Als er sich dann doch bewegte, geschah es nicht, um sich von mir zu lösen. Stattdessen hob er den Kopf, sodass er auf mich hinabblickte. Nur wenige Zentimeter trennten uns, und seine Augen verrieten ihn. Er wollte mich küssen – und ich wünschte mir, dass er es tat. Er beugte sich über mich, eine Hand auf meine Wange gelegt. Ich bereitete mich auf seine Lippen vor – ich brauchte sie –, und dann erstarrte er. Er zog sich zurück, richtete sich auf und stieß verzweifelt die Luft aus, während er den Blick von mir abwandte. Ich setzte mich ebenfalls hin. Mein Atem ging rasch und flach.
„W-was ist los?“, fragte ich.
Er sah mich an. „Such dir was aus! Die Auswahl ist ja groß.“
Ich strich mir mit einem Finger über die Lippen. So nah. So besonders nah. „Ich weiß .... ich weiß, dass die Dinge sich verändert haben. Ich weiß aber auch, dass du dich geirrt hast. Ich weiß sehr gut, dass du wieder lieben kannst.“
Er hatte erneut seine Maske aufgesetzt, als er seine Antwort gab: „Hier geht es nicht um Liebe.“
In meinem Kopf spulte sich noch einmal die vergangene Minute ab, diese vollkommene Verbindung, wie er mich angesehen hatte, welche Gefühle er in mir geweckt hatte. Verdammt, Sonya behauptete ja sogar, wir hätten eine mystische Verbindung! „Wenn es nicht um Liebe geht, worum geht es dann?“, rief ich.
„Darum, das Richtige zu tun“, sagte er leise.
Das Richtige? Richtig und falsch waren in St. Vladimir allgegenwärtige Themen gewesen. Ich war noch keine achtzehn Jahre alt. Er war mein Lehrer. Wir waren dazu auserkoren, Lissas Wächter zu werden, und mussten ihr unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Das alles waren Argumente dafür, warum es damals notwendig gewesen war, uns voneinander fernzuhalten. Aber diese Dinge hatten wir unterwegs doch schon längst verloren. Ich wäre weiter in ihn gedrungen – hätte nicht jemand am Zelteingang gekratzt.
Wir beide sprangen auf, trennten uns, und gleichzeitig griffen wir nach den Pflöcken, neben denen wir geschlafen hatten. Es war ein Instinkt, nach meinem Pflock zu greifen, denn ich wusste, dass dort draußen kein Strigoi war. Aber in letzter Zeit waren Strigoi die geringste unserer Sorgen gewesen.
„Rose? Dimitri?“
Die Stimme war kaum hörbar – aber vertraut. Ich entspannte mich leicht, zog den Reißverschluss am Eingang des Zelts auf und sah Sonya davor knien. Genauso wie wir trug sie dieselbe Kleidung wie zuvor, und ihr kastanienbraunes Haar lag wirr um ihren Kopf. Davon abgesehen schien sie ihren Verfolgern unversehrt entkommen zu sein. Ich rutschte zur Seite, damit sie eintreten konnte.
„Gemütlich“, sagte sie und sah sich um. „Ihr habt euch die entlegenste Stelle auf dem Campingplatz ausgesucht. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, bis ich den Wagen entdeckt habe, den ihr mir beschrieben habt.“
„Wie sind Sie hierhergekommen?“, fragte ich.
Sie zwinkerte mir zu. „Ihr seid nicht die Einzigen, die Autos stehlen können. Oder die, wie in meinem Fall, Leute dazu veranlassen können, sie ihnen freiwillig auszuleihen.“
„Ist Ihnen jemand gefolgt?“, fragte Dimitri. Er war wieder vollkommen ernst
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