Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
South Dakota?“, rief ich. Mir fiel ein, dass ich mich ja gerade in einer Bibliothek befand. Also senkte ich die Stimme. „Ausgerechnet Mitchell schafft es unter die ersten hundert?“
Er lächelte wieder, und ich hatte vergessen, wie sehr ich das vermisst hatte. „Lies es!“
„‚Neunzig Minuten außerhalb von Sioux Falls gelegen, ist Mitchell die Heimat des Maispalastes.‘“ Ich sah ihn ungläubig an. „Maispalast?“
Er rutschte zu mir herüber und beugte sich über mich, um die Bilder zu betrachten. „Ich hätte geglaubt, der Palast bestünde vielleicht aus Maishülsen“, bemerkte er. In Wirklichkeit zeigten die Bilder aber so etwas wie ein Gebäude in einem fernöstlichen – oder sogar russischen – Stil, mit Erker-und Zwiebeltürmen.
„Ich auch.“ Widerstrebend fügte ich hinzu: „Ich würde den Palast gern besuchen. Ich wette, da gibt es tolle T-Shirts.“
„Und außerdem“, sagte er mit einem verschlagenen Ausdruck in den Augen, „ich wette, dort würden keine Wächter nach uns suchen.“
Ich unternahm keinen Versuch, mein Gelächter zu verbergen, und stellte mir vor, wie wir für den Rest unseres Lebens als Flüchtlinge im Maispalast lebten. Meine Erheiterung trug uns einen vernichtenden Blick seitens einer Bibliothekarin ein, und wir verstummten, während Dimitri an die Reihe kam. Sao Paulo, Brasilien. Dann war ich wieder dran: Honolulu, Hawaii. Wir reichten das Buch hin und her, und es dauerte nicht sehr lange, bis wir beide Seite an Seite auf dem Boden lagen und gemischte Reaktionen teilten, während wir unsere globale Phantasiereise fortsetzten. Unsere Arme und Beine berührten einander ganz leicht.
Wenn mir noch achtundvierzig Stunden zuvor irgendjemand erzählt hätte, dass ich mit Dimitri in einer Bibliothek liegen und ein Reisebuch lesen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Beinahe so verrückt war die Erkenntnis, dass ich etwas vollkommen Gewöhnliches und Zwangloses mit ihm tat. Seit unserer ersten Begegnung hatte sich unser Leben um Heimlichkeit und Gefahr gedreht. Und wirklich, das waren auch jetzt immer noch die beherrschenden Themen. Aber in diesen ruhigen Stunden schien die Zeit stillzustehen. Wir waren mit uns im Reinen. Wir waren Freunde.
„Florenz, Italien“, las ich. Bilder von kunstvollen Kirchen und Galerien füllten die Seite. „Sydney will dorthin. Tatsächlich wollte sie dort studieren. Wenn Abe das gelungen wäre, hätte sie ihm wohl ihr Leben lang gedient.“
„Sie ist trotzdem ziemlich gehorsam“, bemerkte Dimitri. „Ich kenne sie nicht besonders gut, aber ich bin mir recht sicher, dass Abe etwas gegen sie in der Hand hat.“
„Er hat sie aus Russland geholt und zurück in die USA gebracht.“
Er schüttelte den Kopf. „Es muss mehr sein als nur das. Alchemisten sind ihrem Orden gegenüber loyal. Sie mögen uns nicht. Sydney verbirgt es – sie werden dazu ausgebildet –, aber jede Minute mit den Hütern ist die pure Qual für sie. Sie hilft uns und hintergeht ihre Vorgesetzten, weil sie ihm das aus irgendeinem schwerwiegenden Grund schuldig ist.“ Wir hielten beide einen Moment lang inne und fragten uns, was für eine mysteriöse Vereinbarung mein Vater wohl mit ihr getroffen hatte. „Aber es spielt keine Rolle. Sie hilft uns, das ist es doch, was zählt .... und wir sollten wahrscheinlich zu ihr zurückkehren.“
Ich wusste zwar, dass er recht hatte, aber ich fand es schrecklich zu gehen. Ich wollte lieber hierbleiben, in dieser Illusion aus Ruhe und Geborgenheit, und wollte glauben, dass ich es eines Tages vielleicht wirklich zum Parthenon oder sogar zum Maispalast schaffen würde. Ich gab ihm das Buch zurück. „Noch einmal.“
Er wählte willkürlich eine Seite aus und schlug es auf. Sein Lächeln erlosch. „St. Petersburg.“
Eine seltsame Mischung von Gefühlen stieg in mir auf. Wehmut – weil die Stadt schön war. Kummer – weil mein Besuch von der schrecklichen Aufgabe befleckt gewesen war, die mich dorthin geführt hatte.
Dimitri starrte lange auf die Seite, einen sehnsüchtigen Ausdruck auf dem Gesicht. Mir kam der Gedanke, dass er trotz seiner früheren aufmunternden Rede genau das empfinden musste, was ich für Montana empfand: Unsere alten Lieblingsplätze waren jetzt für uns verloren.
Ich stieß ihn sachte an. „Geh, genieß den Ort, an dem du bist, erinnerst du dich? Denk nicht an Orte, die du nicht erreichen kannst.“
Widerstrebend schlug er das Buch zu und riss den Blick davon los. „Wie bist du so
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