Vampire Earth 5 - Verräterblut
hinter der Waschbecken-Klo-Kombination aus.
Roderick hatte den Henker betrogen.
Etwas, das aussah wie ein zusammengedrehtes Laken, war um die Waschtischarmatur geknotet worden. Roderick saß, ohne mit dem Hintern den Boden zu berühren. Er wurde von dem Laken in der Luft gehalten, sein Gesicht war blau angelaufen, und die Zunge hing aus dem Mund heraus, so steif wie seine Beine.
Valentine wandte sich von dem Fenster ab und starrte in die trübe Korridorlampe, um das Bild von seinen Netzhäuten zu verbannen.
Bisher hatte man ihn immer durch den Mittelteil des Gebäudes geführt, aber er hatte ein Fluchtwegschild über einer schweren Tür gesehen. Wenn ihm auch einige Wege durch den Mittelteil vertraut waren, war doch das Risiko hoch, einem anderen Aufseher zu begegnen. Valentine probierte den roten Schlüssel an dem massiven Schloss aus. Wann immer seine Konzentration nachließ, sah er Rodericks blau angelaufene Zunge vor sich, aber die Feuerschutztür
öffnete sich. Für einen altgedienten Wärter hatte Young die Dinge recht gut durchdacht. Valentine lauschte mit harten Ohren und hörte irgendwo auf der Etage unter sich Schritte.
Er zog die Wärterschuhe aus und zuckte zusammen, als das Papier laut raschelte - auch das kleinste Geräusch wurde endlos verstärkt, wenn man versuchte, leise zu sein. Dann tappte er die Stufen zum Erdgeschoss hinunter.
Er suchte nach der Tür, die ins Freie führte.
Die Tür nach draußen war mit einer Alarmanlage gesichert. Valentine öffnete eine Plastikabdeckung und sah eine Tastatur mit einer grünen Digitalanzeige vor sich. Jemand hatte 1144 auf die Innenseite geschrieben. Valentine befeuchtete einen Daumen und strich sacht über die Ziffern. Sie verschmierten sofort - die Schrift war noch ganz frisch. Er tippte die Zahlen ein und drückte eine Taste am unteren Rand, auf der »Enter« stand.
Die Farbe änderte sich nicht.
Jeden Nerv aufs Äußerste gespannt stieß Valentine die Tür auf.
»Danke, lieber Gott, für die minimalen Sicherheitsmaßnahmen«, wisperte Valentine. Ein echtes Gefängnis hätte mit mindestens zwei weiteren Türen aufgewartet.
Er zog die glänzenden Schuhe wieder an. Sie waren zwar für den Alltagsgebrauch stabil genug, doch er fragte sich, wie lange sie halten würde, sollte er querfeldein wandern müssen. Seine guten Stiefel waren irgendwo im Inneren des Gefängniskomplexes eingelagert worden.
Die Nachtluft fühlte sich kalt und frisch an, aber das Beste daran war die Menge. Freier Himmel dehnte sich über ihm aus, soweit eine Katze nur sehen konnte. Valentine sog die Nacht von Arkansas ein wie ein Schnapsglas voll Whiskey, und sogar die Erinnerung an Rodericks Zunge verblasste … ein wenig.
Darauf bedacht, im Schatten zu bleiben, ging er um die innere Ecke des Gebäudes herum. Dann und wann rüttelte er an einem Fenster, als wollte er sich vergewissern, dass es verriegelt war, und dabei entfernte er sich vom Mittelteil des Sterns in Richtung des Tores in dem Doppelzaun.
Ein paar Lichter brannten in den Nebenhäusern und dem Gerichtsgebäude. Valentine betrat den Gehweg zum Tor und ging darauf zu.
Aus dem Pförtnerhaus hörte er ein hohes Frauenlachen.
Valentine schnaubte wiederholt in sein Taschentuch, als er in den lichtgefluteten Bereich rund um das zweiteilige, breite Tor trat. Valentine hatte die Vorgehensweise beim Pförtnerhaus oft genug beobachtet: Eigentlich sollten die Leute durch das Haus geschleust werden, aber die Wärter, die Zugang zu dem Bereich zwischen den beiden Zäunen wünschten, ließen sich gewöhnlich einfach das Tor öffnen.
Die Kappe tief ins Gesicht gezogen sah er zum Fenster hinein. Dann blieb er wie angewurzelt stehen.
Alessa Duvalier saß auf einer Art Bedienpult, die Beine geziert übereinandergeschlagen, obwohl sie das trug, was Valentine als ihre Reisekleidung bezeichnete. Ein langer Mantel lag auf einem unordentlich zusammengefalteten Haufen neben ihr. Gleich daneben war ihr Wanderstock mit dem verborgenen Schwert.
»… die Blonde kommt also nieder und fragt den Arzt: ›Wie kann ich sicher sein, dass es mein Baby ist?‹« Sie lachten.
»Scheiße, wie kommt so ein hässlicher Kerl wie Young bloß an jemanden wie dich?«
»Liebenswürdigkeit«, sagte Duvalier. »Er ist ein sehr netter Mann.«
»Falls du ihn je gegen ein neueres Modell eintauschen willst …«, sagte der jüngere der Wärter. Er sprudelte über vor Lachen, während er Valentine beiläufig zuwinkte, ohne den Blick von Duvalier
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