Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vampire küssen besser

Vampire küssen besser

Titel: Vampire küssen besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Savannah Russe
Vom Netzwerk:
ich nach und fragte: »Würde Ihnen sechs Uhr passen? Dann hätten wir eine Stunde, bis ich wieder aufbrechen muss.«
    »Wie Sie wünschen. Meine Adresse haben Sie, nehme ich an. Ich wohne im dritten Stock. Eine Klingel gibt es nicht. Ich werde nach Ihnen Ausschau halten. Stellen Sie sich vor den Eingang und richten Sie Ihren Blick nach oben.«
    »Prima. Vielen Dank. Um sechs bin ich da.«
    »Bis sechs«, zischte er, und gleich darauf ertönte aus der Leitung das Freizeichen.
    Als Nächstes rief ich Bonaventure an, um mir den Termin bestätigen zu lassen. Selbstverständlich nahm er das Gespräch nicht persönlich an, sondern eine Frau, wahrscheinlich eine Bedienstete. Dieses Mal bekam ich einen russischen Akzent zu hören, mit dem mir mitgeteilt wurde, ja, ich würde am Abend um halb acht erwartet und vom Pförtner angemeldet. Dann wurde abrupt aufgelegt. Ich lasse mir jeden Termin bestätigen. Das ist eine Grundregel, die noch aus meinem ersten Lebensjahrhundert stammt. Damals war ich irgendwann wieder einmal zu spät in einem Laden erschienen, wo der Kaufmann bereits nach Hause oder zu einem Händler gegangen oder das Objekt meiner Begierde schon verkauft worden war. Falls so etwas einmal geschieht, ist vielleicht noch der andere schuld, beim zweiten Mal ist man wohl selbst der Idiot.
     
    Zum Laufen waren meine Prada-Stiefel mit den zehn Zentimeter hohen Absätzen nicht geeignet. Aber Turnschuhe konnte ich nicht tragen, schließlich hatte ich eine kultivierte Kunsthändlerin abzugeben. Ich hatte einen Bleistiftrock aus lodengrünem Wildleder und einen weißen Kaschmirpulli angezogen und als Akzent einen schmalen schwarzen Gürtel umgelegt. Darüber trug ich einen Wollmantel, der in Österreich angefertigt worden war und den ich aus dem Gorsuch-Katalog bestellt hatte. Das Haar hatte ich zu einem strengen Knoten gebunden. Dazu legte ich geschmackvolle Goldohrringe an, zwei Kreolen, eine jede mit einem Brillanttropfen versehen. Den Pantherring steckte ich ebenfalls an, das verstand sich wohl von selbst. Zu guter Letzt klemmte ich mir eine handgearbeitete schwarze Bosca-Handtasche unter den Arm, ein dezentes kleines Teil aus erstklassigem italienischem Leder.
    Dass man die richtige Kleidung trägt, ist ausschlaggebend, wenn man sich verstellt, und ich hatte schließlich für den größten Teil meines Lebens tun müssen, als sei ich jemand anderes. Im mittelalterlichen Florenz war ich die junge Witwe eines Kaufmannes gewesen, im Amsterdam des siebzehnten Jahrhunderts die Tochter eines Händlers, im achtzehnten Jahrhundert eine Kräuterfrau in der Schweiz und einmal eine Hofdame der Kaiserin Joséphine. Ein halbes Jahrhundert später war ich Byrons griechisches erdverbundenes Mädchen und im Osteraufstand von 1916 Freiheitskämpferin in Irland und Freundin von W. B. Yeats. Ich hatte in Indien gelebt und nach geistiger Erleuchtung gesucht, und später war ich einmal als Wanderin – manche sagten auch als Hexe – über den Hindukusch nach Afghanistan gezogen. Zahllose Identitäten hatte ich besessen und war nie gestorben, lediglich verschwunden und irgendwo anders als jemand anderes wiederaufgetaucht. Wenn ich es mir recht überlegte, hatten all die Identitäten und Lügen, die damit verbunden waren, mich seit Jahrhunderten auf die Rolle der Spionin vorbereitet. Eigentlich musste ich die reinste Erfolgskanone werden.
    Nach einer knappen Dreiviertelstunde stand ich, wie besprochen, am Haus von Douglas Schneibel, vor dem ramponierten, grüngestrichenen Tor eines Lagerhauses, Ecke Canal Street nahe dem Holland Tunnel. Ich schaute in die Höhe und suchte den dritten Stock. Nach einer Weile kam eine Hand aus einem der Fenster und ließ einen Schlüssel fallen, der an einem weichen Stoffkissen hing. »He!«, rief ich, da es nur knapp meinen Kopf verfehlte, und sprang zur Seite, ehe es auf dem Boden landete. Dann ergriff ich das Bündel und schloss die Vordertür auf. Drinnen erwartete mich ein Frachtenaufzug, dessen Gitter mit Hilfe eines Flaschenzugs geöffnet wurden. Eine nackte Glühbirne an der Decke verbreitete grelles Licht. Ich betrat den Aufzug, in dem zwanzig Personen Platz gefunden hätten, schloss das Gitter und stellte den Messinghebel auf Drei. Ächzend und quietschend stieg der Kasten nach oben, passierte zwei schwere Eisentüren und kam abrupt vor einer nächsten zum Halt.
    Die Tür ging auf. Ein kleiner, rundlicher, betagter Herr mit Nickelbrille erschien, durch dessen schütteres weißes Haar das Rosige

Weitere Kostenlose Bücher