Vampire küssen besser
einpacken. Aber wir sind doch in New York. Wen kümmert es da schon, ob wir später nackt über den Broadway laufen?«
»Du würdest einen Menschenauflauf hervorrufen«, erwiderte ich und hantierte mit dem Riemen meiner Louis-Vuitton-Tasche, bis ich eine Schlinge geschafft hatte, die sich eng um meine Schulter schloss. Anschließend stopfte ich meine Kleidung in die Tasche. »Wie bist du überhaupt hierhergekommen?«
Benny wippte auf den Fußballen und flatterte ein paar Mal mit den Flügeln. Anscheinend hatte sie sich schon seit einer Weile nicht mehr verwandelt. Als Nächstes hob sie einen Flügel an und betrachtete die Unterkante. »Ich war gerade aus dem Haus, als mein Handy klingelte. Louis war dran. Er saß in einem Taxi und hatte sich an die Verfolgung der Diamantenlieferanten gemacht. Er sagte, sobald er am Ziel sei, würde er sich wieder melden. Sein Vorschlag war, dass ich warte, bis du das Haus verlässt. Gleich darauf fuhr eine Limousine vor, und Bonaventure kam aus dem Haus. Mit ihm eine blasse junge Frau. Ich glaube, sie ist krank. Dann wurden zig Koffer in die Limousine geladen, und ich habe mich gewundert, weshalb du nicht vor ihnen draußen warst.«
Ich winkte sie zum Fenster. Es hatte sich verkeilt, und ich rüttelte am Griff.
»Als die beiden verschwunden waren, bin ich zu dem Portier gegangen und habe ihn beschwatzt, mich wieder nach oben zu lassen. Tanya hat mir geöffnet. Ich war kaum in der Wohnung, da bekam ich eins über den Schädel. Gut, dass ich mir die Haare toupiert und mit Haarspray gefestigt hatte. Ich glaube, das hat einiges abgefangen. Jedenfalls habe ich nur so getan, als sei ich bewusstlos. Dann hat mich irgendein Muskelprotz hier reingeschleppt und festgebunden. Anschließend hat er die Diamanten mitgehen lassen. Bin gespannt, was J sagt, wenn er das erfährt. Warum habe ich nur ständig so ein Pech? ›Wenn es Suppe regnen würde, hätte ich bestimmt nur eine Gabel‹, sagt meine Mama immer. Ja, und dann habe ich dich entdeckt und war trotz allem froh, dich zu sehen. Ich hab sofort versucht, dich wach zu kriegen.« Benny hielt inne. »Sollten wir nicht allmählich die Fliege machen?«
»Was glaubst du eigentlich, weshalb ich die ganze Zeit hier am Fenster rüttele?«
»Warum hast du denn nichts gesagt?« Benny stellte sich neben mich und mit vereinten Kräften schoben wir den Rahmen hoch.
»Nach dir«, sagte ich. Benny kletterte auf die Fensterbank und blickte nach unten. Bis zur Straße war es ein weiter Weg. »Wohin?«, fragte sie und sprang.
Ich steckte den Kopf aus dem Fenster und rief: »Wir müssen runter nach Soho, zur Wohnung von Mr.Schneibel! Dahin ist sicher auch Bonaventure unterwegs. Ich glaube, dass sich irgendein Unheil zusammenbraut.«
Benny hielt sich flügelschlagend auf der Stelle. Ich sprang auf die Fensterbank. Die Nachtluft schlug mir entgegen, und tief am Himmel hing ein großer gelber Mond. Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte mich, als ich mich abstieß und gleich darauf hoch in den Nachthimmel flog, Benny dicht auf meinen Fersen.
Stumm umrundeten wir die dunklen Wolkenkratzer Manhattans, die wie die Turmspitzen ehrwürdiger Kathedralen in den Himmel stachen, glitten hoch über den Avenues weiter über die Dächer und streiften gelegentlich eines der höheren Gebäude. In einem Fenster flammte bläulich ein Streichholz auf und erhellte kurz das Gesicht einer rothaarigen Frau, die allein in dem dunklen Zimmer saß und rauchte. Wenig später erkannte ich an einem Fenster einen kleinen Jungen, der die Augen aufriss, als meine Flügelspitze über die Scheiben strich. Vielleicht würden sie sich eines Tages im Traum meiner entsinnen, als Verkörperung ihrer tiefsten Furcht oder als Engel der Nacht. Eine Kirchenuhr schlug zehn, in langgezogenen, klagenden Tönen. Ich ließ mich vom Ostwind tragen.
Und dann läutete mein Handy.
Fluchend versuchte ich, es hervorzukramen, denn die Tasche konnte ich nur eine Handbreit öffnen, weil sonst alles, was darin war, auf die Straßen niedergeregnet wäre. Anschließend musste ich es mit den Klauen halten, und das war auch kein Pappenstiel. Dann sagte ich: »Hallo?«
»Hallo, Daphne. Darius hier. Alles in Ordnung?«
»Ja, alles klar. Und bei dir?« Ich gab mir Mühe, normal zu klingen, und unterdrückte einen Aufschrei, als ich mich um ein Haar am oberen Stockwerk eines Kaufhauses an einer Fahnenstange gestoßen hätte.
»War das gerade Saks?«, rief Benny.
»Was hast du gesagt?«, fragte Darius.
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