Vampire küssen besser
kam, und erblickte Benny Polycarp. Sie war an ein Laufband gefesselt worden und spitzte gerade die Lippen, um den nächsten Speichelball abzuschießen.
»Spinnst du?«, rief ich. »Hör auf, mich zu bespucken!«
»Pscht! Sei leise! Ich wollte, dass du zu dir kommst«, flüsterte sie. »Etwas anderes ist mir nicht eingefallen.«
»Warum hast du dich nicht verwandelt?«, zischte ich. »Du hättest dich längst befreien können.« Meine Arme schmerzten, mein Schädel brummte, nette Worte fielen mir einfach nicht ein.
»Raunz mich nicht so an«, erwiderte Benny. »Bei uns sagt man immer: ›Sei nicht so roh. Kratz dich am Hintern und werd wieder froh!‹« Sie fing an zu kichern. »Wenn ich mich verwandelt hätte, wärst du doch weiterhin ein Mensch geblieben! Ich brauche aber jemanden, der an meiner Seite kämpft, falls sie kommen. Selbst wenn ich mit einem fertig geworden wäre, hätte der andere dir vielleicht etwas getan. Außerdem wollte ich mit der Show nicht ohne dich beginnen. Ein paar Minuten hätte ich noch gewartet.«
»Ach so. Na gut.« Wahrscheinlich musste ich Benny dankbar sein, aber vorrangig hätte ich gern ein paar Papiertaschentücher gehabt. »Wie lange war ich bewusstlos?«
»Keine Ahnung. Als ich hierhergebracht wurde, warst du schon weggetreten. Aber ich bin erst seit fünf Minuten hier. Das heißt, der Scheißkerl, der mir eins übergebraten hat, könnte noch in der Wohnung sein.«
»Dann nichts wie weg.«
»Endlich ein vernünftiges Wort.«
In meinem Nautilusgerät steckte der Stift für die Gewichte bei dreihundert Pfund. Die musste ich schaffen, um die Zugstange herunterzuziehen. Wer immer mich gefesselt hatte, war offenbar davon ausgegangen, dass keine Frau – nicht einmal eine mit Steroiden vollgepumpte – dazu die notwendige Muskelkraft besaß. Für Vampire war das jedoch ein Kinderspiel, ganz gleich, ob sie in der Haut eines Menschen oder der einer Fledermaus steckten.
Mühelos zog ich die Stange herunter und sprengte das Klebeband ab. »Arschlöcher«, sagte ich, während ich mir das Klebeband von den Handgelenken riss. »Autsch! Das tut weh. Und meine Hände sind ohne Gefühl. Wo zum Teufel ist meine Handtasche?«
»Die liegt dahinten auf dem Boden«, sagte Benny. »Sieht aus, als hätten sie sie dir einfach nachgeschmissen.«
»Wenigstens etwas«, murrte ich, kramte in der Tasche und zog ein Päckchen mit angefeuchteten Papiertüchern hervor. Nachdem ich mich gesäubert hatte, begann ich, mich auszuziehen. Es ist eine Schande, wie viele meiner liebsten Kleidungsstücke ich über die Jahre irgendwo zurücklassen musste, aber was soll man machen? Als ich nackt war, setzte ich zu meiner Verwandlung an. Stück für Stück fiel mein menschliches Ich von mir ab, Stück für Stück trat der Vampir zum Vorschein. Meine Eckzähne wurden länger, meine Fingernägel zu Klauen, aus meinem Rücken sprangen Flügel auf, begleitet von einem Surren wie von einer Bogensehne, von der man einen Pfeil abgeschossen hat. Mein Herz schlug schneller, als ich daran dachte, wie sich meine herrlichen Flügel entfalteten. Es ist ein Gefühl, das allen Jammer vertreibt und die graue Sorge wie einen Dieb verscheucht. Die Farben ringsum pulsierten und verdichteten sich, wirbelten wie in einem Kaleidoskop. Das Deckenlicht wurde eine kleine Sonne, die mir in die Augen stach. Zu hell, zu hell, ich brauchte Dunkelheit – doch ich war stark, lebendig, mächtig und frei.
»Verdammter Mist, mein Fingernagel ist futsch«, jammerte Benny, die dabei war, ihr Klebeband abzuschälen. Danach begann auch sie sich zu entkleiden. Ein Wind streifte mich, als mit einem
Wusch
ihre Flügel aufsprangen. Sie vibrierten beim Entfalten und waren dunkel, ganz im Gegensatz zu der hell schimmernden Behaarung auf Bennys geschmeidigem Körper. Benny war eine echte Blondine, ganz ohne Frage.
Für einen Moment standen wir still, um uns an unseren Zustand zu gewöhnen.
»Mensch«, sagte Benny dann. »Louis wollte anrufen. Ich nehme mein Handy mit.«
»Prima Idee«, entgegnete ich. »Ich nehme meins auch mit. Kannst du unsere Klamotten bei dir unterbringen? Vielleicht müssen wir uns später wieder zurückverwandeln.« Benny hatte den Riemen ihrer Tasche wie das Band einer Gitarre quer über den Oberkörper gelegt. Ich wünschte, ich hätte mich für eine ähnliche Tasche entschieden, aber Benny war eben eine Frau, die an alles dachte.
Sie schüttelte den Kopf. »So groß ist meine Handtasche nicht. Ich kann nur das Nötigste
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