Vampire küsst man nicht: Argeneau Vampir 12
wenn er selbst davon nichts mehr hatte, konnte er doch in dem Bewusstsein sterben, dass sie wohlauf sein würde. Es sei denn, sie wird in einen verheerenden Unfall verwickelt oder sogar ermordet, fügte er im Geiste hinzu, dann sah er zum Telefon auf dem Nachttisch, das soeben zu klingeln begonnen hatte. Mortimer nahm den Hörer ab, lauschte dem Anrufer und legte auf. »Die Sachen sind da, der Wagen ist soeben eingetroffen.« Jos erster Gedanke nach dem Aufwachen war die Frage, von welchem Lastwagen sie wohl überfahren worden war – dicht gefolgt von der Frage, wer am Steuer gesessen hatte.
»Jo.«
Sie hörte, dass ihr Name mit einem erleichterten Seufzen ausgesprochen wurde, und drehte sich um. Als sie in Nicholas’ Gesicht blickte, brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. Er musste auf dem Stuhl neben ihrem Bett gesessen haben, aber jetzt war er aufgestanden und beugte sich über sie. Sie fand, dass er aussah, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen. Sein Gesicht war grau, er hatte nicht mehr geschlafen. Sein Gesicht war grau, er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und er sah gut zehn Jahre älter aus als sonst. Das hatte etwas Ermutigendes an sich, überlegte Jo, denn offenbar waren diese Unsterblichen nicht immer nur wunderschöne, makellose Leute, sondern sahen auch schon mal schlecht aus.
»Hi, du Hengst«, flüsterte sie und stutzte, als die Worte mit einem trockenen Krächzen über ihre Lippen kamen und ihr die Kehle wehtat. »Warte, hier.« Nicholas nahm ein Glas vom Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante, dann schob er einen Arm unter ihren Rücken, um ihr beim Hinsetzen zu helfen. Danach hielt er ihr das Glas an den Mund. »Trink das.« Jo gehorchte und trank das Wasser, von dem er ihr aber nur einen Schluck gab. »Mehr?«, fragte er. Als sie nickte, gab er ihr noch einen Schluck. »Besser?«, wollte er wissen, woraufhin sie ihm bedeutete, dass sie genug hatte. »Ja, danke«, murmelte sie, während er das Glas wegstellte.
»Was ist passiert?« Sofort nahm seine Miene einen besorgten Ausdruck an, und er erwiderte: »Woran kannst du dich erinnern?« Sie senkte den Blick und durchforstete ihr Gedächtnis nach der Antwort auf seine Frage. »Dee hat auf mich geschossen«, sagte sie schließlich aufgebracht, dann korrigierte sie sich: »Oder vielleicht sollte ich sagen, dass ich auf mich habe schießen lassen. Gezielt hatte sie ja eigentlich auf dich.« Zwar lächelte Jo ironisch darüber, doch Nicholas konnte daran gar nichts amüsant finden. Er nickte ernst und erklärte dann bedrückt: »Ich weiß es zu schätzen, was du für mich tun wolltest, Jo, aber du bist ein viel zu großes Risiko eingegangen. Ich hätte mühelos ein oder zwei Treffer eingesteckt, aber du....« Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen, als er seinen Satz zu Ende führte: »Du hättest dabei sterben können, und beinah ist es ja auch dazu gekommen.«
»Darum fühle ich mich so elend«, murmelte sie, dann drückte sie das Gesicht an seine Brust. »Aber ich bin nicht tot, und wir sind beide in Sicherheit. Und während ich genesen muss, kannst du mich nicht einfach bei Mortimer und den anderen zurücklassen. Also ist alles bestens.« Als er nichts erwiderte, hob sie den Kopf und musterte ihn ernst. »Ich weiß, du wolltest, dass mir nichts passiert, als du mich in Sams Apartment zurückgelassen hast, aber du siehst ja, dass sofort irgendetwas Schlimmes geschieht, wenn du nicht da bist. Vielleicht ist das ja ein Zeichen, dass wir beide zusammengehören.« »Ernie stellt keine Bedrohung mehr dar«, sagte er leise.
»Und Dee?« »Mortimer kümmert sich um die beiden«, versicherte er. Nach kurzem Überlegen fragte sie: »Was werden sie mit Dee machen?« »Vermutlich werden sie ihre Erinnerung löschen und sie dann irgendwo aussetzen, wo sie schnell gefunden wird. Die Polizei wird glauben, dass ihr Gedächtnisverlust durch das Trauma ausgelöst wurde, als die Mörder ihrer ganzen Familie sie entführt hatten. Man wird ihr helfen, ein neues Leben zu beginnen.«
»Das ist gut«, fand Jo. Die Frau hatte bestimmt ein ganz normales Leben geführt, als Ernies Familie über sie hergefallen war und sie einem unfassbaren Schrecken ausgesetzt hatte. Ohne die Erinnerungen an diese Zeit würde es Dee vielleicht gelingen, wieder ein glücklicher Mensch zu werden. Was Mortimer mit Ernie machen würde, musste sie nicht fragen, sie kannte bereits die Strafe, die Abtrünnige erwartete. Man würde ihn auf jeden Fall hinrichten,
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