Vampire küsst man nicht: Argeneau Vampir 12
eineinhalb Jahren, und trotz seiner Größe benahm er sich immer noch wie ein Welpe. Aber einen Platz in ihrem Herzen hatte er längst erobert, weshalb es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, sich selbst in Sicherheit zu bringen und ihn seinem Schicksal zu überlassen. »Charlie?« Der Schäferhund lag reglos auf den Trümmern des kleinen Tischs im Flur gleich hinter der Tür. Sie kniete sich hin und atmete erleichtert auf, als er beim Klang ihrer Stimme die Augen öffnete. Er machte einen benommenen Eindruck, aber er lebte, wie sie sehen konnte. Dann verkrampfte sie sich, als er seinen Blick auf etwas anderes richtete und wieder zu knurren begann.
Jo drehte sich um und kniff wütend die Lippen zusammen, als sie sah, dass Mr Mundgeruch nicht länger die Hand an seinen Hals drückte und wieder aufstand. Ihr Hund war auf ihn losgegangen, obwohl von dem Mann selbst gar keine unmittelbare Bedrohung ausgegangen war, aber Charlie besaß offenbar einen sechsten Sinn, der ihm verraten hatte, dass dieser Mann nichts Gutes im Schilde führte und dass er ihn unbedingt außer Gefecht setzen musste. Doch so schlimm die Bisswunde auch aussah, allzu ernst konnte sie nicht sein, denn Mr Mundgeruch war nicht nur wieder auf den Beinen, sondern er kam auch auf sie zu, um das zu Ende zu führen, weshalb er hergekommen war. Sie machte einen Satz nach vorn, um die Wohnungstür zuzuschlagen, und es gelang ihr tatsächlich in allerletzter Sekunde, sie auch noch zu verriegeln. Als der Mann sich mit einem Wutschrei gegen die Tür warf, ging ein Zittern durch das Holz, und Jo konnte sich nicht vorstellen, dass sie dieser Kraft lange standhalten würde.
Als sie sich umdrehte, blieb ihr fast das Herz stehen, da sie mit ansehen musste, wie Charlie versuchte, sich aufzurichten, dann aber wieder zusammenbrach und halb auf dem Läufer im Flur landete. Sie kniete sich neben ihn, um ihn zu beruhigen. »Schon gut, mein Großer. Ich bin ja bei dir. Ruh dich erst mal aus«, murmelte sie, dann griff sie nach dem Rand des Läufers und zog ihn aus dem Flur ins Wohnzimmer, während Mr Mundgeruch sich erneut gegen die Wohnungstür warf. Sie war bis zu der Tür gekommen, die zum Balkon über der Garage führte, als der Mann einen dritten Anlauf unternahm. Diesmal hörte sie Holz knacken und splittern. Die Zeit lief ihr davon. Wo zum Teufel blieb Bricker? Eine halb nackte, vor Entsetzen kreischende Gina hätte ihn sofort einschreiten lassen müssen.
Jo war mit dem auf dem Läufer liegenden Hund fast an der Balkontür angelangt, als die sich plötzlich hinter ihr öffnete. Sie ließ die Matte los, drehte sich um und sah.... Nicholas vor sich stehen. Ehe sie ein Wort herausbringen konnte, gab gleich nebenan die Wohnungstür nach, und Mr Mundgeruch stürmte herein. Für einen Moment schienen alle wie erstarrt und sahen sich nur an. Die Starre endete in der Sekunde, als Jo aus dem Treppenhaus Brickers Stimme hörte. Mr Mundgeruch stieß ein Knurren aus und ging unverdrossen weiter. Nicholas nahm Jos Hand, um sie mit sich in Richtung Balkon zu ziehen, während Jo ihrerseits wieder nach dem Läufer griff, um Charlie hinter sich herzuschleifen.
»Nicholas, warte! Charlie ist verletzt!«, rief sie, da er sie über die Türschwelle ziehen wollte. Er hielt augenblicklich inne, sah zu Mr Mundgeruch und dann zu ihrem Schäferhund. Ehe Jo wusste, wie ihr geschah, war Nicholas an ihr vorbeigeeilt, hob Charlie auf und drehte sich zu ihr um.
»Los!«, fuhr er sie an, und Jo gehorchte, indem sie nach draußen auf den Balkon lief, der sich über alle drei Apartments erstreckte. Sie hörte, wie hinter ihnen die Tür zufiel, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass Nicholas Charlie unter einem Arm trug, als sei der Hund bloß ein Football. Mit der freien Hand schob er die Liege aus massivem Holz unter den Türgriff, damit Mr Mundgeruch zumindest ein wenig aufgehalten wurde. Dann zeigte Nicholas auf den Hinterhof. »Da entlang! Zum Van!«
Jo schaute in die angegebene Richtung und entdeckte einen Van, der gleich hinter der Garage auf dem Rasen parkte. Über das flache Garagendach lief sie weiter, die dünne Teerschicht war von der Sonne der letzten Tage aufgeweicht und klebte an ihren Schuhen, was der Hauptgrund dafür war, dass weder sie noch ihre Nachbarn das Dach nutzten, um dort ein Sonnenbad zu nehmen. Der Van stand genau richtig, denn da vom Balkon keine Treppe nach unten führte, konnten sie nur über das Geländer steigen, um dann auf das Wagendach zu springen und von
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