VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
ist nicht so einfach. Das führt nur zu Vermisstenanzeigen und entsprechenden Suchen.« Bestimmt zum dreißigsten Mal verändert Shane die Haltung seiner langen Beine unter dem Armaturenbrett. »Schließlich ist die Liga eingeschritten und hat meine Familie von der Spur abgebracht.«
»Wie das denn?«
»Mein Vater und ich haben uns eigentlich überhaupt nicht verstanden. Ich war nicht der Sohn, den er gern gehabt hätte, und er war nicht der Vater, den ich mir gewünscht habe. Denn ich hab nun mal keinen Vater gewollt, der definitiv ein Arschloch ist.«
»Wollen wir das denn nicht alle?« Aber ich schlucke meine eigene Wut auf Väter (und einen im speziellen) hinunter und höre weiter zu.
»Wir hatten schon jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen. Also hat die Liga meine Handschrift gefälscht und einen Brief an meinen Vater geschickt. Darin habe ich ihn gebeten, mich vor einem meiner Auftritte zu besuchen, weil ich mich gern mit ihm aussöhnen wolle. Meine Mutter und er ließen sich auch tatsächlich blicken. Sie fanden mich mit einem Schoß voll Regina.« Shane reibt sich das Kinn. »Und wahrscheinlich vor einem Tisch voller Drogen. Das weiß ich nicht mehr so genau.«
»Ich wette, Regina und deine Eltern haben sich auf Anhieb gemocht und sind genial miteinander ausgekommen.«
Shane grunzt. »Korrekt. Dreißig Sekunden, nachdem sie reinmarschiert gekommen sind, waren Regina und mein Vater schon heftigst dabei, ein ganzes neues Wörterbuch mit Flüchen und Beschimpfungen zu füllen.« Mit dem Finger fährt er die Gummidichtung des Fensters auf seiner Seite entlang. »Meine Mutter hat überhaupt nichts gesagt. Sie hat nur geweint.« Shane zeigt nach vorn. »Fahr hier rechts rein! Wir sind fast da.«
Wie gewünscht biege ich ab. Dabei kämpfe ich heroisch den Impuls nieder, einfach geradeaus durch den schmiedeeisernen Zaun zu brettern. »Das war’s dann also, ja?«
»Ja, das war’s dann. Eine weitere Liga-Mission erfolgreich beendet. Von meiner Familie habe ich nie wieder etwas gehört.«
Jedenfalls bis vor zwei Monaten, wie ich weiß. Shanes Schwester hatte beim Sender angerufen und ihm gesagt, sein Vater habe Krebs im Endstadium und wolle seinen Sohn ein letztes Mal sehen. Colonel Lanham, unser Kontaktmann zur Liga, aber lehnte einen Kontakt kategorisch ab. Shane dürfe nicht einmal anrufen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Shane erleichtert war, das zu hören. Aber darüber gesprochen hat er mit mir nie.
»Wir sind da«, sagt er.
Ich halte am Straßenrand, und wir steigen aus. Das Licht des Mondes macht es leicht, das Grab von Evan McAllister zu finden. Das Erdreich ist frisch aufgehäuft, feste Lehmbrocken. Es ist sechs Wochen her, dass Shanes Vater gestorben ist.
Leise schließt Shane die Autotür. Dann zieht er sich die Kapuze seiner Sweat-Jacke über den Kopf, wahrscheinlich nicht, weil ihm kalt ist, sondern eher, weil er so sein Gesicht vor der Welt verbergen kann.
Hastig steige ich aus und folge Shane. Die Arme habe ich eng um den Körper geschlungen. Ständig huscht mein Blick hin und her, und ich bedauere ernstlich, dass ich nicht ein zweites Paar Augen im Hinterkopf habe. Meine Großhirnrinde glaubt nicht an Geister oder Zombies. Aber bei Hirnstamm, Zwischenhirn und Amygdala, den stammesgeschichtlich ältesten Teilen des Gehirns aus unserem evolutionären Eidechsenstadium, ist das anders. Sie sorgen dafür, dass mir bei dem Gedanken an all die Leichen unter meinen Füßen das Blut in den Adern gefriert.
Ich hole Shane erst ein, als wir beide vor dem Grab seines Vaters stehen. Unsere Fußspitzen sind vielleicht noch zwei, zweieinhalb Zentimeter von dem frisch aufgehäuften Erdreich über der Grube entfernt. Das Mondlicht schimmert auf dem grauen Marmor der Grabsteine überall um uns her.
Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung. Instinktiv zuckt mein Kopf herum, und ich sehe zwei Frauen, die ihre Gesichter unter Kapuzen vor dem schneidenden Wind verbergen. Eine der beiden trägt einen großen Kranz am Arm. Sie schaut zu, wie ihre Begleiterin Blumensträuße auf verschiedenen Gräbern niederlegt, zu denen sie offenbar gezielt pilgern, bekreuzigt sich dann jedes Mal und gibt jedem Stein am Kopfende jedes Grabes einen rasch hingehauchten Kuss.
Ich blicke zu Shanes Gesicht hinauf. Er hat die Augen geschlossen. Ich frage mich, wie ich mich wohl fühlen würde, läge mein Vater hier tot und begraben. Wahrscheinlich wäre ich gleichzeitig traurig, wütend, erleichtert und alles
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