VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
Essen verwandeln sich die Männer in Gentlemen des 19. Jahrhunderts und ziehen sich in die Bibliothek eine halbe Treppe tiefer zurück, um Brandy zu trinken und Zigarren zu rauchen. Mich vertreibt der Geruch in mein ehemaliges Zimmer. Ich habe viel zu viel gegessen, um weiterhin der Maßlosigkeit zu frönen, und viel zu viel getrunken, um noch zu fahren.
Als ich allein bin, gehe ich im Zimmer auf und ab, um den Impuls niederzukämpfen, den Menschen anzurufen, der am glücklichsten von allen auf der Welt wäre, von mir zu hören. Nicht Shane, der ja genau genommen auch kein Mensch ist und zudem, ähm, beschäftigt, sein T-Fest zu feiern. Auch nicht Lori, die über Thanksgiving ihre Eltern in Wisconsin besucht.
Ich setze mich auf das ordentlich gemachte französische Doppelbett und wähle eine Nummer, die ich noch nie angerufen habe.
Nachdem ich die Telefonzentrale hinter mir und mit einem Wärter gesprochen habe, bleibe ich in der Leitung, während auf dem alten, altmodischen Wecker fünf Minuten mit Tick und Tack verrinnen. Der Wecker ist noch mechanisch, mit Hammer und Doppelglocken, ein Überschallknall ist nichts dagegen. Dann vergehen weitere fünf Minuten. Liegt Moms Zelle tatsächlich so weit weg von den Telefonen? Oder will sie vielleicht gar nicht mit mir reden?
Ich stehe auf und gehe wieder im Zimmer auf und ab. Dabei trinke ich hin und wieder einen Schluck Wein, obwohl es hinter meinen Schläfen bereits verdächtig pocht. Klar, wieder mal typisch: Nur ich bekomme einen Kater, während ich noch trinke!
Endlich nimmt jemand am anderen Ende ab. »Hallo?«
Das Wort bleibt mir fast im Halse stecken: »Mom?«
Sie schnappt nach Luft. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben könnte die Melodramatik in ihrer Stimme echt sein. » Ciara? Bist du das?«
»Wer sonst nennt dich ›Mom‹?« Es gab einmal eine Zeit, da wäre das nur ein kleiner Scherz gewesen. Heutzutage stimmt mich dieser Satz sehr nachdenklich.
Sie kichert los. Es ist dieses schrille Kichern, das mir früher immer den letzten Nerv geraubt hat. Jetzt klingt es in meinen Ohren wie Vogelgezwitscher. »Wie lange ist es her, dass wir uns gesprochen haben? Nein, ganz egal, lass uns keine kostbare Zeit auf die Vergangenheit verschwenden! Wie geht es dir?«
»Mir geht es gut.« Als mir die Worte über die Lippen kommen, begreife ich, dass sie die reine Wahrheit sind und nichts als die Wahrheit. Im Schneidersitz sitze ich auf dem Bett und gebe meiner Mutter einen kurzen Abriss der neuesten Entwicklungen in meinem Leben: Ich erzähle von meinem Job, lasse aber den ganzen Teil mit Vampire gibt es wirklich aus. Es klingt, als würde meine Mutter tatsächlich zuhören.
»Das ist ganz wunderbar, Schatz. Du musst mir unbedingt eines von den T-Shirts schicken, ja?«
»Musst du denn nicht Gefängniskleidung tragen?«
»Ich hänge mir das Shirt an die Wand. Leider kannst du mir ja keine Anstecknadel schicken. Mit der könnte ich ja jemanden erstechen.«
»Und du findest es nicht zu weltlich und gottlos, oder so?«
»Ich bin stolz auf dich, ganz egal, mit was für Geschmacklosigkeiten du dich umgibst. Gibt es in deinem Leben Männer, vielleicht sogar jemand Besonderen? Komm schon, Schatz, rück raus damit!«
Ich erzähle ihr von Shane. Dabei behalte ich die Uhr im Auge. Wenn ich diesen Teil der Unterhaltung in die Länge ziehen kann, trennt uns die Telefonzentrale vielleicht, ehe meine Mutter mich nach Dad fragen kann.
»Klingt gut für den Moment«, meint sie, als ich fertig bin. »Für die Zukunft allerdings glaube ich, dass du es besser treffen könntest, als ausgerechnet mit einem Discjockey anzubandeln.«
Klar, wenn ich richtig Glück habe, dann bekomm ich vielleicht echten Betrugsprofi ab, so wie du!
»Andererseits«, fährt sie in diesem Moment fort, »befinde ich mich wohl kaum in der Position, über andere zu urteilen.« Es folgen einige Sekunden Schweigen. »Hast du von deinem Vater gehört?«
Ich schließe die Augen und habe sofort das Bild von der zusammengefalteten Postkarte im Kopf, die momentan ganz unten in meiner Handtasche schlummert. »Nein.«
»Du bist eine schlechte Lügnerin, Ciara. Haben wir dir denn gar nichts beigebracht?« Nach einer Pause, während der ich mir wünsche, ein Schneesturm legte alle Telefonmasten in Illinois um, lacht sie und sagt: »Ich ziehe dich nur ein bisschen auf! Ich weiß doch, dass du mir erzählen würdest, wenn er sich mit dir in Verbindung gesetzt hätte. Wir haben doch keine Geheimnisse
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