Vampire und andere Kleinigkeiten
erleichtert, dass Greg das Thema gleich wieder fallen ließ. Er stand auf, um zu gehen.
»Ich bin dankbar für jede Hilfe«, sagte er. Und dann griff er in seine Jackentasche, drückte mir ein mit Kunstfell bezogenes Etwas in die Hand und fügte, plötzlich wieder ganz Versicherungsvertreter, hinzu: »Hier, diese Hasenpfote wird Sie zu einem echten Glückspilz machen.«
»Danke.« Die würde ich ins Schlafzimmer legen, beschloss ich. Dort konnte ich ein wenig Glück gebrauchen.
Als Greg weg war, schlüpfte ich in meine Arbeitskleidung (schwarze Hose und weißes T-Shirt mit rundem Ausschnitt und dem Merlotte's-Logo über der linken Brust eingestickt), kämmte mein langes blondes Haar, das ich zu einem Pferdeschwanz zusammenband, und zog mir Teva-Sandalen an, um meine schön lackierten Zehennägel zur Geltung zu bringen.
Amelia war an diesem Abend nicht zur Arbeit eingeteilt und sagte, dass sie vielleicht zur Versicherungsagentur fahren und sich dort einmal umsehen würde.
»Sei vorsichtig«, warnte ich sie. »Wenn dort wirklich jemand herumschleicht, könntest du schnell in eine gefährliche Situation geraten.«
»Die werde ich mit meinen wundersamen Hexenkünsten einfach in Luft auflösen«, erwiderte sie, nur halb im Scherz. Amelia hatte eine hohe Meinung von ihren eigenen Fähigkeiten, was gelegentlich zu Fehlern wie dem mit Bob führte. Der war nämlich eigentlich ein schlaksiger junger Zauberer, ein Nerd, aber dabei ganz gut aussehend. Und als Bob einmal eine heiße Nacht mit Amelia verbrachte, war er einem ihrer nicht ganz so erfolgreichen Versuche in fortgeschrittener Magie zum Opfer gefallen. »Ach komm, wer will denn schon in eine Versicherungsagentur einbrechen?«, fügte sie schnell hinzu, als sie meine skeptische Miene sah. »Die ganze Sache ist doch lächerlich. Aber ich will mir trotzdem mal Gregs Magie ansehen und überprüfen, ob jemand daran herumgepfuscht hat.«
»Kannst du denn so was?«
»Hey, das sind doch Basics.«
Zum Glück war es an diesem Abend ruhig im Merlotte's. Es war Mittwoch, und da ist abends nie viel los, denn die meisten Einwohner von Bon Temps gehen am Mittwochabend zur Kirche. Sam Merlotte, mein Boss, war damit beschäftigt, im Lagerraum die Bierkisten zu zählen, als ich eintraf - so wenig war los. Und die Kellnerinnen, die Dienst hatten, standen an der Bar und mixten sich Drinks.
Ich stopfte meine Tasche in die Kommodenschublade, die Sam im Büro extra dafür frei hielt, und ging zu den anderen, um meine Tische zu übernehmen. Die Frau, die ich ablöste - ein Katrina-Flüchtling, ich kannte sie kaum -, winkte mir kurz zu und war auch schon weg.
Nach einer Stunde kam, wie besprochen, Greg Aubert mit seiner Familie. Man konnte sich im Merlotte's seinen Platz selbst aussuchen, und ich nickte verstohlen zu einem Tisch in meinem Bereich. Vater, Mutter und zwei - fast erwachsene - Kinder, die typische Kleinfamilie. Gregs Frau Christy hatte mittelblondes Haar, so wie Greg, und wie ihr Mann trug auch sie eine Brille. Sie hatte eine völlig normale Figur für eine Frau mittleren Alters und war mir eigentlich auch sonst nie durch irgendeine Besonderheit aufgefallen. Little Greg (so nannten sie ihn tatsächlich) war keineswegs klein, sondern etwa zehn Zentimeter größer als sein Vater, dreißig Pfund schwerer und zehn IQ-Punkte schlauer. Letzteres aber nur, was reines Schulwissen angeht. Denn wie die meisten Neunzehnjährigen hatte er so gut wie keine Ahnung vom Leben. Lindsay, die Tochter, hatte ihr Haar um fünf Farbtöne aufgehellt, sich in ein Outfit gezwängt, das mindestens eine Kleidergröße zu klein war, und konnte es kaum erwarten, von ihrer Familie wegzukommen, um sich mit ihrem heimlichen Freund zu treffen.
Während ich die Getränke- und Essensbestellungen aufnahm, erfuhr ich, a) dass Lindsay der irrigen Annahme war, sie sehe aus wie Christina Aguilera, b) dass Little Greg auf keinen Fall in die Versiche-rungsbranche einsteigen wollte, weil sie so langweilig war, und c) dass Christy glaubte, Greg interessiere sich möglicherweise für eine andere Frau, weil er in letzter Zeit immer so zerstreut wirkte. Wie man sich wohl vorstellen kann, ist es eine ziemliche geistige Herausforderung, dauernd die Dinge, die ich aus den Gedanken der Leute erfahre, von denen zu trennen, die sie mir erzählen - was übrigens das angestrengte Lächeln erklärt, das ich oft aufsetze. Ein Lächeln, das dazu geführt hat, dass manche Leute mich glatt für verrückt halten.
Nachdem ich
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