Vampire's Kiss
einen Schlag ins Gesicht. »Gib mir dein Tablett!«
Ich starrte sie verständnislos an.
Masha äffte meine verblüffte Miene nach. »Wie kann man nur so dämlich gaffen! Dabei heißt es immer, sie wäre hochintelligent.«
»Mir kommt sie eher leicht bekloppt vor.« Trinity wiederholte ihre Worte ganz langsam und deutlich, als habe sie es mit einer Behinderten zu tun. »Ich sagte: Gib mir dein Tablett! «
Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich meinen Teller nicht leer gegessen hatte. Das war ein Fehler gewesen, und ich wusste, dass Emma ihn jetzt ausbaden musste.
Trinity packte den Rand meines Tabletts und schob es zu meiner Freundin. »Nimm das Brot!«
Emma streckte eine Hand aus und zögerte über dem Brotkanten, den ich übrig gelassen hatte, weil mir die Kruste zu hart war. Ich verfluchte meine kindischen Essgewohnheiten.
Trinity drückte Emmas Hand nach unten. »Na, was ist?« Sie umklammerte Emmas Finger, und ich sah, wie sich ihre Nägel in das Fleisch meiner Freundin bohrten. »Nimm das Brot!«
Sie riss Emmas Hand hoch und presste ihr den Kanten in den Mund. »Und iss!«
Emmas Backen blähten sich auf wie bei einem Eichhörnchen. Ich zwang mich, nicht wegzuschauen – das zumindest war ich meiner Freundin schuldig. Sie schluckte und schluckte noch einmal, und ich sah an ihrem Blick, wie schmerzhaft die harte Kruste durch ihren Schlund kratzte.
»So ist es brav«, sagte Trinity.
Masha begann ihre Peitsche mit beiden Händen zu biegen, spannte sie an, lockerte sie wieder, spannte sie an. »Ich glaube, sie hat immer noch Hunger.«
Die beiden Guidons wechselten einen Blick. »Suppe?«, fragten sie gleichzeitig.
Trinity bedachte Emma mit einem strahlenden Lächeln. »Du hörst es. Zeit für die Suppe.«
Emma nahm den Löffel und begann zu essen. Die Suppe war inzwischen kalt und roch eklig. Ihre Hände zitterten, und ein Teil der Brühe tropfte auf das Tablett.
Trinity entriss ihr den Löffel. »Ruhig. Vielleicht musst du etwas näher ran an den Futternapf.« Sie fuhr mit einer Hand in Emmas Haare und drückte ihr Gesicht in die Schüssel.
Ich stemmte unter dem Tisch die Fußspitzen in den Boden, getrieben von dem Wunsch, aufzuspringen und ihr zu Hilfe zu kommen, aber Masha warf mir einen giftigen Blick zu. »Hast du ein Problem, Acari Drew?«
Emma umklammerte die Tischkante und hielt den Atem an. Ihr Gesicht war in die Suppe getaucht.
Ich machte den Mund auf, schwieg lange genug, um mich innerlich wegen meiner Feigheit zu verfluchen, und sagte dann leise: »Nein.«
Emmas Knie zuckten unter dem Tisch. Ihre Finger verkrampften sich. Ich hielt den Atem an und stellte mir vor, wie das für sie sein musste. Wie lange konnte sie das noch durchhalten?
Trinity drückte Emmas Gesicht noch etwas tiefer in die Brühe. Ein schwaches Wimmern drang an mein Ohr.
Vielleicht reichte es mir ganz einfach. Vielleicht hatte ich mich zu tief in meinem Selbstmitleid gesuhlt. Vielleicht war ich sauer, weil Ronan und Amanda allem Anschein nach eine heimliche Affäre hatten. Wer kann schon genau sagen, was mich antrieb? Aber ich stieß meine Zehen vom Boden ab und stand plötzlich aufrecht da. Meine Stimme klang überraschend scharf und laut. »Aufhören!«
Trinity war so geschockt, dass sie Emmas Kopf losließ. Meine Freundin sprang hustend und röchelnd vom Tisch auf. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie sich die orangerote Brühe aus dem Gesicht wischte.
Die Guidons erstarrten.
»Aufhören?« Trinity drehte sich langsam um und sah mich an. »Hast du eben aufhören gesagt?«
»Doch, das hat sie.« Masha legte ein ungläubiges Staunen in ihre Stimme.
Ich dachte an Ronan und Amanda. Hätten sie mir geholfen, so wie ich Emma eben geholfen hatte? Es war kindisch – ich hatte mich als Teil ihrer kleinen Gruppe gefühlt, aber nun, mit der Erkenntnis, dass die beiden ein Paar waren, stand ich wieder am Rand. Sie empfanden keine Freundschaft für mich. Nicht wirklich. Ich war wieder die Versagerin, die ausgestoßene Acari. So wie ich vor meiner Ankunft auf der Insel die Versagerin gewesen war. Die ausgestoßene Annelise Drew.
Aber jetzt hatte ich eine Freundin, und diese Freundin war Emma. Ich würde sie nicht im Stich lassen. Die Zeit des Alleinseins war vorbei. »Ja. Ich habe aufhören gesagt.«
»Schön, Trinity«, sagte Masha und sah die rothaarige Guidon an. »Du kannst aufhören.« Aber dann erhob sie sich von ihrem Stuhl und wickelte die Peitschenschnur vom Griff. »Von jetzt an mache ich weiter.«
Schon
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