Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vampire's Kiss

Vampire's Kiss

Titel: Vampire's Kiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
Vom Netzwerk:
geschrieben von einem meiner Lieblingsmathematiker.«
    Wie bitte? Ich verstand gar nichts mehr. Wo blieb da der Bezug zur Realität? »Mathematiker?«
    Er machte eine dramatische Pause, um seiner Antwort noch mehr Gewicht zu verleihen. »Archimedes.«
    »Aber das kann doch nicht –?« Archimedes hatte irgendwann anno dunnemals gelebt. Das hieß, dass dieses Buch echt uralt war. Nicht im Staub vergraben, sondern selbst Staub. Ich atmete tief durch. Die unfassbare Wahrheit verdrängte alle anderen Gedanken aus meinem Gehirn. »Heiliges Kanonenrohr! Der hat ja noch vor Christus gelebt.«
    Sein schwarzer Blick nagelte mich fest. Als er wieder das Wort ergriff, war seine Stimme ein heiseres, vertrauliches Flüstern. »Ich wusste, dass du vor allen anderen verstehen würdest, was das bedeutet.«
    Brrr! Halt! Ich rutschte unauffällig auf meinen Platz zurück. Mir war eiskalt. Das hatte sehr intim geklungen, und intim war eine Sache, die man im Zusammenhang mit Vampiren besser mied. »J-ja.« Ich fragte in aller Eile meine Gedächtnisspeicher ab. »Der Text müsste zweitausendzweihundert Jahre alt sein.«
    Hatte er deshalb ein besonderes Interesse an mir? Weil er sich mit mir über Mathematik unterhalten konnte?
    »Noch älter«, sagte er triumphierend. »Ich habe auf diesen Seiten andere Schriften entdeckt, die noch älter sind.«
    Ich wäre beinahe wieder näher an ihn herangerückt – die Streberin in mir konnte ihre Begeisterung kaum bremsen. Tausend Möglichkeiten schossen mir durch den Kopf. Was mochte alles auf diesen Seiten stehen, die noch älter als die Bibel waren?
    Doch dann fiel mir ein, weshalb ich eigentlich hier war, und mein Herzschlag geriet kurz ins Stolpern.
    Ich steckte in Schwierigkeiten, und ich hatte nicht den geringsten Hinweis, wann mit welchen Folgen zu rechnen war.
    Alcántara stellte das Tablett mit einem Klack ab, das mich aus meinen sorgenvollen Gedanken riss. »Genug von meinen Liebhabereien geplaudert.« Er drehte sich ein wenig zur Seite und streckte mir beide Arme entgegen. Ich starrte ihn dämlich an, ohne ein Wort zu sagen. »Deine Hände, Acari Drew! Ich sagte doch, dass ich deine Wunden versorgen würde.«
    Scheiße!
    Ich hielt ihm meine Rechte hin und stellte zu meinem Ärger fest, dass sie ein wenig zitterte. Ich konnte nur hoffen, dass er meine Angst nicht bemerkte, aber ich wusste, dass Vampiren kaum etwas entging.
    Er rutschte näher und nahm meine Hand in seine.
    Jetzt wurde es ernst.

Es fiel mir schwer, mich auf Alcántaras Worte zu konzentrieren – er sagte irgendetwas über die alten Griechen –, weil sich seine kühlen Finger um meine Hand geschlossen hatten.
    Ich kämpfte gegen den Impuls an, eine Faust zu machen. Handverletzungen waren hartnäckig, da der Schorf, der die Wunden verschloss, bei jeder Bewegung aufriss. Und obwohl ich die Handflächen im Wohntrakt gesäubert hatte, waren sie zu meiner großen Verlegenheit schon wieder blutverschmiert.
    Er fuhr mit einem Finger den tiefsten Schnitt entlang. Ein unheimliches, zugleich kaltes und warmes Kribbeln wanderte von meiner Wirbelsäule in den Nacken.
    Wenn Alcántara meine Angst spürte, so ließ er sich nichts anmerken. Stattdessen redete er einfach weiter, sanft, einschläfernd, mit einem leichten spanischen Akzent. »… und Archimedes war der Größte von allen.«
    Der größte Mathematiker, der größte Grieche, oder was? Ich versuchte mich an seinen Worten festzuklammern, um die Situation zu entspannen und dieses beunruhigende Kalt-Heiß-Gefühl auszuschalten, das inzwischen meinen ganzen Körper erfasst hatte. Ich nickte steif. »Ja, das war er. Seiner Zeit weit voraus.«
    »Ich hätte ihn so gern kennengelernt.«
    Ach du liebe Güte. Alcántara kam mir immer näher. Beugte den Kopf dicht über meine Hand, wie ein Hund, der an mir schnüffeln oder meine Finger ablecken wollte. Du liebe Güte.
    Seine Lippen öffneten sich.
    Bitte nicht , wimmerte eine Kleinmädchenstimme irgendwo in meinem Innern. Er würde meine Wunden doch nicht ablecken ? Ich wollte die Hand wegziehen, aber die kühlen Finger des Vampirs spannten sich ganz leicht an.
    »Kennst du seine Werke?« Sein Atem strömte heiß über die blutenden Risse. Hatte er etwa die Absicht, mich auszusaugen? Mein Magen verkrampfte sich.
    Nein, das wird er nicht tun. Nein, das wird er nicht. Nein, das wird er nicht. Ich versuchte meine ganze Willenskraft einzusetzen, um seinen Mund von meiner aufgerissenen Haut fernzuhalten. Mein Herz klopfte laut, und meine

Weitere Kostenlose Bücher