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Vampire's Kiss

Vampire's Kiss

Titel: Vampire's Kiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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Schläfen dröhnten.
    Er hatte etwas gefragt – ich musste antworten. Mein Verstand schaltete in einen höheren Gang, denn dieser Mund kam immer näher. Verzweifelt durchforstete ich in meinem Gedächtnisspeicher die Rubrik »Wissenswertes aus der Antike«.
    »Klar«, stieß ich lauter als beabsichtigt hervor. »Archimedes … äh. Gebt mir eine Stange … nein, gebt mir einen Hebel, der lang genug, und … und einen Angelpunkt, der stark genug ist, dann kann ich die Welt mit einer Hand bewegen. Das stammt doch von ihm, oder?«
    Obwohl Alcántara den Kopf gesenkt hielt, konnte ich erkennen, wie sehr ihm das Zitat gefallen hatte, trotz – oder vielleicht gerade wegen – meines nervösen Gestammels. Er lachte leise, und ich spürte seine Atemstöße auf der Haut. »Ja, das stammt von ihm.«
    »Aber er wurde von einem römischen Soldaten getötet.« Ich kratzte alles an Fakten zusammen, was mir noch einfiel. Bei dem Wort getötet zog ich instinktiv die Hand zurück, aber der Vampir ließ sie nicht los.
    »Auch das ist richtig.« Alcántara zog meine Handlinien nach und verteilte auf der gesamten Innenfläche dünne Blutspuren. Seine Miene hellte sich auf, als er sich an die Legende erinnerte. »Angeblich lauteten die letzten Worte, die er an seinen Angreifer richtete: Störe meine Kreise nicht! « Er lachte, und auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut. »Menschen können so herrlich banal sein.«
    Ich versuchte mir vorzustellen, was er sonst noch über uns Menschen dachte. Herrlich banal …  aber was für ein Genuss, sie zu zerfleischen! Banal …  aber dieser herbe Moschus-Nachgeschmack. Denn ich zweifelte nicht daran, dass es allmählich ernst wurde für mich. Und dass die Strafe, die mich erwartete, hammermäßig ausfallen würde.
    Aber noch ließ der Vampir meine Hand nicht los. Stattdessen fuhr sein kühler Finger erneut über meine Hand, mit mehr Druck diesmal, bis sich der Schnitt wieder öffnete und ich vor Schmerz zusammenzuckte. Er hielt den Finger ins Licht des Kaminfeuers. Blassrote Flecken waren darauf zu erkennen.
    Ich beobachtete angewidert, wie er ihn langsam in den Mund schob und ableckte. Während der ganzen Prozedur war sein Blick unverwandt auf mich gerichtet.
    Scheißescheißescheiße. Das hatte noch gefehlt. Er zog den Finger mit einem leisen Schmatzgeräusch aus dem Mund.
    Noch ein Körperteil, das er kosten wollte? Hektisch stellte ich eine Liste all meiner offenen Wunden zusammen. Das brachte nichts. Ich brauchte irgendein Gesprächsthema.
    »Und das Buch?«, stieß ich hervor. Selbst in meinen Ohren klang die Frage schrill vor Nervosität.
    Ruhig. Ich musste mich höllisch zusammennehmen, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Ich meine, hieß es nicht, dass Blutgier Vampire total ausrasten ließ? Weiß Gott, was geschah, wenn sie auf den Geschmack kamen! Ich jedenfalls fühlte mich ganz bestimmt nicht dazu berufen, es herauszufinden.
    Halte das Gespräch in Gang! Ich warf einen Blick auf das Buch. »Ich meine, was ist das für eine Schrift? Ein Original? Und um welchen Text geht es?« Ich gab mir Mühe, Eifer und Wissbegier zu bezeugen, aber wahrscheinlich klang ich nur hektisch und aufgeregt.
    »Ach ja. Mein Buch.« Einen Moment lang war er abgelenkt und ließ meine Hand los. Eine Woge der Erleichterung erfasste mich. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. »Das Manuskript kam erst vor wenigen Jahrzehnten ans Licht. Es war eine aufregende Entdeckung in der Welt der Mathematik.« Er lächelte kokett. »Später kam es in einer Auktion zum Aufruf und wurde von einem anonymen Bieter erstanden.«
    »Von Ihnen«, sagte ich unverblümt. Wenn ich nicht so in Panik gewesen wäre, hätte ich wohl mehr Ehrerbietung an den Tag gelegt, aber ich konnte nicht mehr klar denken, seit ich wusste, dass »Blut lecken« mehr sein konnte als eine etwas altmodische Floskel. Die Angst verlieh meinen Worten eine gedankenlose Lässigkeit. »Ihr Vampire scheint nicht gerade arm zu sein. Aber ihr hattet ja auch jede Menge Zeit zum Sparen, oder?«
    Aber er schien mir meine Ungezwungenheit nicht zu verübeln. Ich schätze mal, dass es jeden alten Knaben ganz schön auflockerte, wenn er das Blut eines jungen Mädchens leckte. Er überlegte einen Augenblick und meinte dann nachdenklich: »Wir verfügen über einen gewissen Wohlstand, ja.«
    An diesem Punkt ließ ich die Unterhaltung abreißen. Meine Kindheit hatte sich in einer Reihe von billigen Apartments in den schlichteren Gegenden von Florida

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