Vampire's Kiss
meinetwegen in der Nähe herumhing?
Ich stellte meine Tasche an dem Tisch ab, wo sie mit Emma und ein paar anderen Mädels von unserem Stockwerk saßen. Es war üblich, dass die Acari gemeinsam mit ihren Betreuerinnen – in unserem Fall Amanda – speisten. Und dafür, dass Ronan uns Gesellschaft leistete, gab es nun auch eine Erklärung.
»Sind wir wieder gut?« Ich schreckte aus meinen düsteren Gedanken, als Josh mich anstupste. Seine Blicke wanderten zu dem Tisch, an dem sich seine Kumpels versammelt hatten, und ich merkte, dass er zu ihnen wollte.
Ich nickte. »Du bist entlassen.«
»Warte. Ich habe noch etwas für dich.« Er zog ein Buch aus seiner Tasche.
»Etwas für mich?« Ich las den deutschen Titel: Besondere Regeln und Gepflogenheiten im Geschäftsdeutsch. »Hey, danke. Da soll noch mal jemand behaupten, Mädchen würden auf Blumen stehen!«
»Genau das Richtige für dich. Du liebst doch alles, was mit Protokoll und Etikette zusammenhängt, oder?« Er boxte mich leicht gegen den Arm. »Bis nächste Woche dann.«
»Meinetwegen.« Ich zuckte mit den Achseln.
Ich hätte zu allem Ja und Amen gesagt, nur um mich endlich in die Warteschlange der Essensausgabe einreihen zu können. Nun, da ich mich endlich in den Speisesaal gewagt hatte, merkte ich, dass mir vor lauter Hunger die Knie zitterten. Ich schnappte mir ein Tablett und sog den herrlichen Geruch von Curry und Pommes frites ein. Mein Magen knurrte erwartungsvoll.
Aber dann vernahm ich einen dringlicheren Befehl aus meiner Schaltzentrale und machte einen Abstecher zur Kühltheke. Ich hatte am Abend meinen Becher Blut vergessen und fühlte mich so hibbelig wie ein Junkie auf Entzug. Ein blödes Gefühl. Ich war von dem Stoff abhängiger, als ich geahnt hatte, und wollte lieber nicht darüber nachdenken, was das für mich bedeuten konnte, wenn es mir tatsächlich gelang, dieser Felseneinöde den Rücken zu kehren.
Mit einem voll beladenen Tablett begab ich mich zu den anderen. Als ich mich dem Tisch näherte, sah ich gerade noch, wie Ronan Amanda etwas unter dem Tisch zuschob. Ich spürte ein kaltes Kribbeln im Nacken. Liebesbeziehungen waren auf der Vampir-Insel ganz bestimmt verboten. Insgeheim flehte ich die beiden an, vorsichtig zu sein. Auch wenn die Eifersucht an mir nagte – sie waren meine Freunde, und ich wollte nicht, dass ihnen etwas zustieß.
Ich verbarg meine Angst hinter einer grimmigen Fassade und warf einen argwöhnischen Blick auf Ronans nassen Neoprenanzug, während ich mich auf meinen Stuhl fallen ließ. »Sag nichts. Heute steht noch Schwimmen auf dem Programm. Eine echt spitzenmäßige Woche …«
Er unterdrückte ein Lächeln. »Aye, ich habe schon gehört, dass du zwei harte Tage hinter dir hast.«
»So kann man es auch nennen, wenn Eingeweihte Jagd auf uns machen.« Ich warf Emma einen Blick zu.
Sie nickte mir zu, äußerlich gelassen wie immer, obwohl es ihr sicher auch nicht leicht gefallen war, den Speisesaal wieder zu betreten.
Amanda warf ihre Dreadlocks nach hinten. In ihren Bewegungen steckte eine derartige Ruhe und Selbstbeherrschung, dass sich in meine Eifersucht ein Schuss Verzagtheit mischte. »Vergiss nicht, dass du eine gefährliche Mission vor dir hast«, sagte sie. »Verglichen damit sind diese Zicken ein Spaziergang im Park.«
Ich warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu. Darum ging es eigentlich nicht. »Mitten im Speisesaal mit der Peitsche gedemütigt zu werden, ist alles andere als ein Spaziergang im Park.«
»Vergiss die Mädels und bündle deine Kräfte!« Die Aufseherin rückte ihren Stuhl mit einem lauten Scharren näher zu mir heran. »Du solltest jetzt nur an die bevorstehende Mission denken – an deine kleine Exkursion von der Insel!«
»Ich versuche es ja, Amanda.« Ich schob große Brocken Curry-Huhn auf meinem Teller hin und her. »Aber so einfach ist das nicht.«
»Trinity hasst mich«, stellte Emma nüchtern fest.
»Und Masha hatte es vom ersten Tag an auf mich abgesehen«, fügte ich hinzu. Ich überlegte einen Moment, ob ich das Fleisch zerschneiden sollte, doch dann spießte ich es einfach auf die Gabel und schob es in den Mund. Ich kaute und schluckte viel zu hastig, weil ich es eilig hatte, den bissigen Gedanken loszuwerden, der mir eben in den Sinn gekommen war. »Man könnte meinen, sie ist scharf auf Alcántara und will nicht, dass ich ihr in die Quere komme.«
Ronan und Amanda wechselten einen Blick. Es war eine flüchtige Angelegenheit, aber ich merkte, wie sich das
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