Vampire's Kiss
geküsst.«
Die grünen Augen waren mit einem Mal hart wie Glas. »Komm, wir gehen ein Stück.«
Mit langen Schritten nahm er den breiteren der beiden Wege nach unten. Er schaute sich kein einziges Mal um, ob ich ihm folgte, und blieb erst stehen, als wir den kleinen Schotterplatz erreicht hatten, auf dem sein Range Rover geparkt war.
Ich trottete wortlos hinter ihm her. Plötzlich erschien mir das alles unerträglich. Vielleicht lag es an dem Dämmerlicht, das meine Gefühle durcheinanderbrachte. Ich sehnte mich verzweifelt nach ein wenig Sonnenwärme auf der Haut oder einer richtig finsteren Nacht. Dieses ewige Grau machte mich wahnsinnig.
Ich erfuhr in dieser Welt einiges über mich selbst – unter anderem, dass ich ein hormongesteuerter Teenager war, der sich gern auf einen Flirt mit der Gefahr einließ. Aber ich war nicht stolz, und der plötzliche Ausbruch von Selbsterkenntnis hinderte mich nicht daran, Mitleid bei Ronan zu schinden. »Er war immer freundlich zu mir. Alcántara, meine ich. Hat sich mit mir unterhalten und so.«
»Es ist das und so , das mich beunruhigt«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe dich gewarnt. Die Vampire sind kein Umgang für dich.«
Er stand hinter dem SUV , während ich vorn an der Motorhaube lehnte, damit er sich ungestört umziehen konnte. Er hatte immer einen Wasserbehälter im Wagen, und ich hörte das Plätschern, als er sich den Salzbelag von der Haut wusch, gefolgt von Stoffrascheln. Erst als er fertig zu sein schien, sagte ich: »Alcántara und ich sind kein Paar, wenn du das meinst.«
»Du hast keine Ahnung, auf welches Spiel du dich da einlässt.«
Ich verschränkte die Arme und presste sie gegen die Brust. »Hältst du mich für total bescheuert oder was? Ich bin schließlich nicht von gestern.«
»Nein. Du bist nicht von gestern. Aber du könntest morgen tot sein. Wenn du so weitermachst …« Er klang verärgert. Vielleicht trübte die Beziehung zu Amanda sein Urteilsvermögen. Oder, noch schlimmer, es war von Anfang an schlecht darum bestellt gewesen. Ich hätte ihm in der Angelegenheit gern auf den Zahn gefühlt, aber ich hatte meine Lektion aus dem Gespräch mit Amanda gelernt: Lass die Finger davon!
Er rubbelte sich mit dem Handtuch die Haare trocken, als er nach vorn kam. Das T -Shirt klebte ihm am feuchten Oberkörper. »Fühlst du dich zu ihm hingezogen? Brauchst du seine Nähe?«
»Nein … ich …« Das enge T -Shirt brachte mich im Zusammenhang mit dieser Frage durcheinander, und ich ärgerte mich maßlos über mein Zögern. Ich war nicht nur ein hormongesteuerter Teenager. Ich war ein unbeholfener hormongesteuerter Teenager.
Aber ich las in seinen Augen, dass ich zu lange gezögert hatte.
»Egal«, fauchte er. »Du musst darauf nicht antworten.« Er warf das Handtuch auf die Rückbank, sehr reserviert, als habe er einen Entschluss gefasst.
Ich wollte ihm erklären, dass wir darüber sprechen könnten, wenn er ein wenig Geduld hatte. Dass ich mich nach Nähe sehnte, aber nicht nach den Küssen eines Vampirs. Nach Freundschaft und allem, was dazugehörte – mit jemandem Witze machen, Pommes frites essen, Geheimnisse teilen. Dass ich mir wünschte, es gäbe jemanden, dem es nicht egal war, ob ich lebte oder tot war. Dass ich schreckliche Angst hatte zu sterben, bevor ich die Liebe erlebt hatte. Dass er bis jetzt der Einzige gewesen war, der sich irgendwie um mich gekümmert hatte. Dass ich ständig über Jungs im Allgemeinen nachdachte, aber auch über ihn, über Josh und über Vampire. Dass mir so etwas völlig normal erschien, weil ich jung und gesund war und junge, gesunde Bedürfnisse hatte. Dass ich mir Sorgen um ihn und Amanda machte und viel über Emma und Yas nachdachte. Dass ich mich fragte, wie sich all die Pärchen erst mal fanden. Ich schaffte das einfach nicht, weil ich voll damit beschäftigt war, verstauchte Knöchel und geprellte Rippen auszuheilen oder irgendwelchen Todesgefahren zu entrinnen.
Aber er gab mir nicht die Chance, auch nur einen dieser Sätze loszuwerden. Er sagte nur: »Bis später dann auf dem Schulgelände.« Dann stieg er ein und fuhr los.
Ohne mich mitzunehmen.
»Du bist so was von einem Trauerkloß.« Emma stupste mich mit der Stiefelspitze in den Hintern. Sie saß ein paar Stufen über mir auf der Eingangstreppe des Mädchen-Wohntrakts.
Es war der erste »sonnige« Nachmittag seit Tagen – was im Klartext hieß, dass sich das fade Grau des Himmels etwas aufgehellt hatte –, und ich
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