Vampirgeflüster
unheimlich«, stimmte Mel zu, aber ihm schien unbehaglich zumute zu sein. »Du weißt, dass ich sofort aufgesprungen wär, wenn er auf dich eingeschlagen hätte. Doch er hatte mir richtig eins verpasst, und ich dachte, ich bleib erst mal liegen, solange er sich nicht an dir vergreift.«
»Mel, ich hoffe, dir geht's wirklich gut.« Ich gab meiner Stimme einen besorgten Unterton und trat ein wenig näher. »Lass mich mal deine Schulter ansehen.« Ich streckte die Hand aus, und Jason runzelte die Augenbrauen.
»Warum willst du denn ...?« Ein schrecklicher Verdacht zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Ohne ein weiteres Wort trat er hinter seinen Freund, packte Mel mit beiden Händen an den Oberarmen und hielt ihn fest. Mel zuckte vor Schmerz, doch er sagte nichts, kein Wort. Er tat nicht mal so, als wäre er empört oder überrascht, und das sagte eigentlich schon alles.
Ich legte Mel meine Hände auf die Wangen, schloss die Augen und sah in seine Gedanken hinein. Und diesmal dachte Mel an Crystal, und nicht an Jason.
»Er hat es getan.« Ich öffnete die Augen wieder und sah über Mels Schulter hinweg meinem Bruder ins Gesicht. Dann nickte ich.
Jason stieß einen Schrei aus, der unmenschlicher kaum sein konnte. Mels Gesicht schien zu zerlaufen, als würden alle Muskeln und Knochen sich verschieben. Er sah nicht mehr aus wie ein Mensch.
»Lass mich dich ansehen«, bat Mel.
Jason war verwirrt, weil Mel mich doch bereits ansah. Er konnte auch kaum woanders hinsehen, so wie mein Bruder ihn festhielt. Mel setzte sich nicht zur Wehr, hatte aber jeden Muskel angespannt. Er wird nicht ewig so passiv bleiben, dachte ich. Ich bückte mich und hob das Gewehr auf, froh darüber, dass Jason gerade nachgeladen hatte.
»Er will dich ansehen, nicht mich«, erklärte ich meinem Bruder.
»Gott verdammt noch mal«, sagte Jason. Er atmete schwer und stoßweise, so als wäre er gerannt, und hatte die Augen weit aufgerissen. »Da musst du mir erst mal einen Grund nennen.«
Ich trat einen Schritt zurück und hob das Gewehr. Auf diese Entfernung würde selbst ich Mel nicht verfehlen. »Dreh ihn um, er will von Angesicht zu Angesicht mit dir reden.«
Ich sah die beiden im Profil, als Jason Mel herumdrehte. Jason packte den Werpanther sofort wieder, und jetzt war sein Gesicht nur dreißig Zentimeter von Mels entfernt.
Calvin kam ums Haus herum. Crystals Schwester Dawn war bei ihm. Und ein etwa Fünfzehnjähriger trottete hinter ihnen her. Ich erinnerte mich, den Jungen auf der Hochzeit gesehen zu haben. Es war Jacky, Crystals ältester Cousin ersten Grades. Teenager verpesten ihre Umgebung geradezu mit Gefühlen und Verwirrung, und auch Jacky machte da keine Ausnahme. Er bemühte sich krampfhaft zu verbergen, wie nervös und aufgeregt er war. Doch es brachte ihn beinahe um, diese coole Haltung vorzutäuschen.
Die drei Neuankömmlinge verstanden das Szenario sofort, Calvin schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Das ist ein schlimmer Tag«, sagte er ganz ruhig, und Mel fuhr zusammen, als er die Stimme seines Anführers hörte.
Jasons Anspannung ließ etwas nach, als er die anderen Werpanther sah.
»Sookie sagt, er hat es getan«, erzählte Jason Calvin.
»Das reicht mir«, erwiderte Calvin. »Aber, Mel - du solltest es uns selbst sagen, Bruder.«
»Ich bin nicht dein Bruder«, sagte Mel bitter. »Ich wohn schon seit Jahren nicht mehr bei euch.«
»Das war deine eigene Entscheidung.« Calvin ging um ihn herum, so dass er ihm ins Gesicht sehen konnte, und die anderen beiden folgten ihm. Jacky knurrte, jede vorgebliche Coolness war verflogen. Jetzt brach das Tier hervor.
»Es gibt sonst keinen wie mich in Hotshot. Ich wär allein gewesen.«
Jason blickte verständnislos drein. »Es wohnen doch jede Menge Typen wie du in Hotshot.«
»Nein, Jason«, erklärte ich. »Mel ist schwul.«
»Ist das ein Problem für uns?«, fragte mein Bruder und sah Calvin an. In mancher Hinsicht war Jason anscheinend immer noch nicht ganz auf dem Stand der Dinge.
»Wir haben kein Problem damit, was die Leute im Bett treiben, wenn sie vorher ihre Pflicht der Gemeinschaft gegenüber erfüllt haben«, erwiderte Calvin. »Vollblütige Werpanther müssen Nachwuchs zeugen, ohne Wenn und Aber.«
»Ich konnte es nicht«, sagte Mel. »Ich konnte es ganz einfach nicht.«
»Aber du warst doch mal verheiratet«, wandte ich ein und wünschte sogleich, ich hätte geschwiegen. Dies war jetzt ein Fall der Werpanther. Ich hatte nicht Bud Dearborn angerufen,
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