Vampirmelodie
angerufen und ihm gesagt, dass seine Mutter für all die erlittenen Leiden einen Anspruch auf Entschädigung habe. Und Marvin, der es satthatte, Jane immer wieder aus dem Merlotte’s zu ziehen, muss der Möglichkeit gegenübersehr aufgeschlossen gewesen sein, dem Merlotte’s einiges an Geld abluchsen zu können, nachdem seine Mutter so viel dort hineingekippt hatte.
Ein Klopfen an der Tür bereitete meinen Spekulationen ein Ende. Und als ich in Sams Drehstuhl herumschwang, sah ich jemanden, den ich nie wieder zu sehen erwartet hatte. Einen Moment lang dachte ich, ich würde gleich ohnmächtig, so wie Halleigh Bellefleur im Rotary Club.
»Arlene«, sagte ich und stockte. Mehr bekam ich nicht heraus. Meine einstige Kollegin – meine einstige gute Freundin – schien darauf zu warten, dass ich noch mehr sagte. Schließlich fügte ich hinzu: »Wann bist du rausgekommen?«
Dieser Augenblick war nicht nur unsagbar unangenehm, sondern auch absolut nervtötend. Als ich Arlene Fowler das letzte Mal sah (von dem Termin im Gerichtssaal abgesehen), hatte sie zu einer Verschwörerbande gehört, die mich auf eine ganz bestimmte grausame Weise ermorden wollte. Es war auf Menschen geschossen worden an diesem Tag. Manche waren gestorben. Manche verletzt worden. Und manche waren im Gefängnis gelandet.
Doch seltsamerweise hatte ich überhaupt keine Angst vor ihr, obwohl ich einer Mitverschwörerin an dem geplanten Mord an mir ins Gesicht sah.
Mich beherrschte nur der Gedanke, wie sehr Arlene sich verändert hatte. Vor ein paar Monaten noch war sie eine kurvenreiche Frau gewesen. Jetzt war sie dünn. Ihr Haar war immer noch herausfordernd rot, doch kürzer und trockener, strähnig und glanzlos. Die Falten um ihre Augen und den Mund traten im Licht der Deckenlampe grausam deutlich zutage. Arlenes Gefängnisaufenthalt hatte zwar nicht allzu lange gedauert, doch sie wirkte um Jahrzehnte gealtert.
»Ich bin vor vier Tagen rausgekommen«, erwiderte sie. Sie hatte mich mit der gleichen Neugier gemustert wie ich sie. »Gut siehst du aus, Sookie. Wie geht’s Sam?«
»Er ist heute krank, Arlene.« Ich fühlte mich leicht benommen. »Wie geht’s Lisa und Coby?«
»Sie begreifen das alles nicht«, sagte sie. »Sie haben gefragt, warum Tante Sookie sie gar nicht mehr besuchen kommt.«
»Es wäre ziemlich seltsam gewesen, wenn ich sie besucht hätte, finde ich, nach all dem, was passiert ist.« Ich sah Arlene in die Augen, bis sie widerstrebend nickte und den Blick abwandte. »Vor allem, seit ich überzeugt war, dass du ihnen einige schreckliche Dinge über mich erzählt haben musst. Du weißt schon … als du mich zu dir nach Hause gelockt hast, damit deine Freunde mich ans Kreuz nageln konnten.«
Arlene wurde rot und sah auf ihre Hände hinunter.
»Haben die beiden bei Helen gewohnt, während du weg warst?«, fragte ich, weil ich nicht wusste, worüber ich sonst reden sollte.
Arlenes neue beste Fanatiker-Freundin hatte versprochen, sich um die Kinder zu kümmern, als sie die zwei von Arlenes Wohnwagen abholte, bevor die Schießerei begann.
»Nein. Nach ’ner Woche hatte sie genug von ihnen und hat sie zu Chessie gebracht.«
»Chessie Johnson?«
»Sie hieß Chessie Fowler vor ihrer Heirat mit Brock«, erklärte Arlene. »Chessie ist – war – eine Cousine ersten Grades von meinem Ex.« (Von dem Ex, dessen Namen Arlene behalten hatte, obwohl sie mehrere Male verheiratet gewesen war. Rick Fowler war bei einem Motorradunfall in Lawton, Oklahoma, gestorben.) »Als Jan Fowler in dem Feuer draußen am See umgekommen ist, hat Chessie ’nbisschen Geld von ihr geerbt. Chessie tut keinem was. Sie liebt die Kinder. Hätte schlimmer kommen können.« Arlene klang nicht wütend auf Helen, nur resigniert.
Offen gesagt (auch wenn das strafversessen klingt), hätte ich mir gewünscht, dass Arlene mal wütend auf sich selbst wurde. Doch ich entdeckte keine Spur davon, und ich kannte Arlene in- und auswendig. In ihren Gedanken nahm ich einen grellen Zug Bosheit wahr, einen Mangel an Hoffnung oder Unternehmungsgeist und einen dumpfen Hass auf die Welt, die sie so schlecht behandelt hatte … ihrer Ansicht nach.
»Dann hoffe ich, dass es den Kindern bei den Johnsons gut geht«, sagte ich. »Sie haben ihre Mama sicher vermisst.« Es war mir gelungen, zwei aufrichtige Dinge zu sagen. Doch ich fragte mich, wo Sams Pistole war und wie schnell ich wohl daran käme, wenn sie in der rechten Schreibtischschublade lag, wie ich annahm.
Arlene sah
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