Vampirmelodie
aus, als würde sie gleich weinen, jedoch nur einen Augenblick lang. »Ich glaub schon. Ich hab den beiden eine ganze Menge zu erklären.«
Herrje, was würde ich froh sein, wenn dieses Gespräch zu Ende war. Immerhin war da eine Emotion vorhanden, die ich anerkennen konnte: Bedauern darüber, was sie ihrer Familie angetan hatte. »Du bist erstaunlich früh rausgekommen, Arlene«, sagte ich, denn plötzlich war mir klar geworden, dass das Überraschendste ihre Anwesenheit hier in Sams Büro war.
»Ich hab ’nen neuen Anwalt. Der hat mich auf Kaution rausgeholt«, erklärte sie. »Und mein Verhalten im Gefängnis war vorbildlich, klar, ich hatte ja schließlich gute Gründe. Weißt du, Sookie, ich hätte nie zugelassen, dass die dir was antun.«
»Arlene, du kannst mich nicht anlügen«, erinnerte ich meine einstige Freundin. Der Schmerz über ArlenesVerrat zog sich wie eine rote wunde Narbe durch meine Seele.
»Ich weiß, dass du mir nicht traust«, sagte Arlene.
Ach was, Sherlock. Ich wartete auf die Worte, die ich als Nächstes kommen sah. Sie wollte die Karte der Geläuterten ausspielen.
»Und das werf ich dir auch nicht vor«, fuhr Arlene fort. »Ich weiß nicht, wo ich meinen Kopf hatte, aber bestimmt nicht auf meinen Schultern. Ich war so total unglücklich und wütend und hab nach ’nem Weg gesucht, irgendwem die Schuld dafür zu geben. Vampire und Werwölfe zu hassen war das Einfachste.« Sie nickte ernst, selbstgerecht.
Irgendwer hatte wohl eine kleine Therapie durchlaufen.
Ich will mich nicht lustig machen über Therapien; das hat vielen Leuten schon sehr geholfen. Doch Arlene plapperte die Ideen des Beraters nach, so wie sie die Ideen der anti-supranaturalen Bruderschaft der Sonne nachgeplappert hatte. Wann würde sie endlich mal zu eigenen Überzeugungen finden? Es erschien mir inzwischen unbegreiflich, dass ich Arlene jahrelang so aufrichtig bewundert hatte. Okay, sie hatte einen großen Lebenshunger, eine gute Chemie mit Männern, zwei niedliche Kinder und verdiente ihren eigenen Lebensunterhalt, alles beneidenswerte Dinge für jemanden, der so einsam war wie ich damals.
Jetzt sah ich Arlene anders. Sie konnte Männer anziehen, sie aber nicht an sich binden. Sie konnte ihre Kinder lieben, aber nicht stark genug, um sich vom Gefängnis fernzuhalten und sich um sie zu kümmern. Sie konnte arbeiten und ihre Kinder erziehen, aber nicht ohne einen permanenten Strom von Männern, die durch ihr Schlafzimmer zogen.
Ich hatte sie gemocht, weil sie bereit gewesen war, meine Freundin zu sein, als ich so wenige echte Freunde hatte.Doch jetzt verstand ich, dass sie mich nur als Babysitter für Lisa und Coby, als unbezahlte Putzfrau und begeisterte Bewunderin benutzt hatte. Als ich mir ein eigenes Leben geschaffen hatte, hatte sie versucht, mich ermorden zu lassen.
»Willst du mich immer noch tot sehen?«, fragte ich.
Sie zuckte zusammen. »Nein, Sookie. Du warst mir immer eine gute Freundin, und ich hab mich gegen dich gestellt. Aber ich hab einfach alles geglaubt, was die Bruderschaft predigte.«
Ihre Gedanken entsprachen ihren Worten, zumindest so weit sie reichten. Ich war noch immer ein ziemlicher Niemand in Arlenes Augen. »Und deshalb bist du heute vorbeigekommen? Um dich mit mir zu versöhnen?«
Obwohl ich die Wahrheit in ihren Gedanken las, konnte ich es erst glauben, als sie es aussprach. »Ich bin hier, weil ich Sam fragen wollte, ob er mich wieder einstellt.«
Mir fiel keine Antwort ein, so erstaunt war ich. Arlene begann, von einem Fuß auf den anderen zu treten, als ich sie anstarrte. Schließlich fühlte ich mich in der Lage zu antworten. »Arlene, für deine Kinder tut’s mir leid, und ich weiß, dass du sie wiederhaben und dich um sie kümmern willst«, sagte ich. »Aber ich kann nicht mit dir zusammen hier im Merlotte’s arbeiten. Du musst doch wissen, dass das nicht möglich ist.«
Sie wurde ganz starr und hob das Kinn. »Ich werde mit Sam reden«, erwiderte sie. »Wir werden ja sehen, was er dazu zu sagen hat.« Die alte Arlene tauchte wieder auf. Die Arlene, die überzeugt davon war, dass sie schon bekommen würde, was sie wollte, wenn sie sich an einen Mann wandte.
»Ich stelle hier jetzt die Leute ein. Ich bin Teilhaber«, sagte ich und deutete mit dem Zeigefinger auf meine Brust. Arlene starrte mich eindeutig schockiert an.»Das würde in einer Million Jahren nicht funktionieren. Das muss dir doch klar sein. Du hast mich auf die allerschlimmste Art verraten.« Ich spürte
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