Vampirmelodie
einen Stich Trauer, doch ich war nicht sicher, welcher Aspekt dieser Begegnung mich trauriger machte: das Schicksal von Arlenes Kindern oder die Tatsache, dass manche Hass austeilen konnten wie Bonbons und Abnehmer fanden.
Der Widerstreit in Arlenes Gesicht war ein unangenehmer Anblick. Sie wollte mich beschimpfen, doch sie hatte mir eben erst erzählt, dass sie sich geändert und begriffen hatte, wie falsch ihr früheres Verhalten war, und deshalb konnte sie sich nicht richtig verteidigen. Sie war die Dominante in unserer »Freundschaft« gewesen, und jetzt hatte sie mit der Tatsache zu kämpfen, dass sie keine Handhabe mehr gegen mich hatte.
Arlene holte tief Luft und hielt sie einen Augenblick lang an. Sie dachte daran, wie wütend sie war, sie dachte daran, zu protestieren, sie dachte daran, mir zu sagen, wie enttäuscht Coby und Lisa sein würden – bis sie einsah, dass nichts von all dem irgendeinen Unterschied machte, weil sie bereit gewesen war, mich an einem Kreuz hängen zu sehen.
»Es stimmt«, sagte ich. »Ich hasse dich nicht, Arlene.« Ich war überrascht, als ich erkannte, dass das tatsächlich der Wahrheit entsprach. »Aber ich kann dich nicht um mich haben. Nie mehr.«
Arlene drehte sich auf dem Absatz um und ging. Sie würde zu ihren neuen Freunden laufen und all ihre Verbitterung in deren Ohren gießen. Das hatte ich direkt aus ihren Gedanken erfahren. Es handelte sich um Männer, was mich nicht weiter wunderte. Auf Arlene war eben Verlass. Oder auch nicht.
Sams Mutter trat in den Türrahmen während Arlenes Abgang. Bernie blieb halb drinnen, halb draußen stehenund sah meiner einstigen Freundin nach, bis diese durch die vordere Tür des Merlotte’s verschwunden war. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, den Arlene frei gemacht hatte.
Dies war offenbar mein Tag der unangenehmen Gespräche.
»Ich habe das alles mitangehört«, sagte Bernie. »Eines Tages musst du mir mal die Hintergrundgeschichte erzählen. Sam schläft. Erklär mir, was ihm passiert ist.« Bernie sah viel menschlicher aus. Sie war etwa so groß wie ich und schlank, und mir fiel auf, dass sie wieder ihre natürliche Haarfarbe trug, Rotblond, wie Sam. Nur, Bernies Haar ließ sich viel besser frisieren als Sams. Ob sie wohl jemanden kennengelernt hatte, fragte ich mich kurz. Doch im Moment war sie ganz geschäftsmäßig, ganz Mutter.
Den Kern der Geschichte kannte sie schon, und so füllte ich nur noch die Lücken auf.
»Sam war also mit dieser Jannalynn zusammen, das ist die, die bei uns zu Hause in Wright aufgetaucht ist, hatte aber schon erste Zweifel an ihr.« Bernie blickte finster drein, war aber nicht wütend auf mich. Sie war wütend darüber, dass das Leben nicht gut zu Sam war, denn sie liebte ihn innig.
»Ich glaub schon. Eine Zeit lang war er ganz verrückt nach ihr, aber das hat sich gegeben.« Ich hatte nicht vor, Sams Beziehung zu erklären, und das war auch nicht meine Aufgabe. »Ihm waren ein paar Dinge klar geworden über sie, und das hat ihm … nun ja, nicht grad das Herz gebrochen, glaub ich zumindest – aber es war schmerzhaft.«
»Und wer bist du für ihn?« Bernie sah mir direkt in die Augen.
»Ich bin seine Freundin, seine gute Freundin, und inzwischen auch seine Geschäftspartnerin.«
»Mh-hm.« Sie musterte mich auf eine Weise, die ich nurskeptisch nennen konnte. »Und du hast einen unersetzlichen Gegenstand geopfert, um ihm das Leben zu retten?«
»Herrje, warum fangen alle immer wieder davon an«, sagte ich und zuckte zusammen. Ich klang wie eine Zehnjährige. »Ich hab’s gern getan«, fügte ich in etwas erwachsenerem Ton hinzu.
»Dein Freund, dieser Eric, hat gleich danach die Farm des Werwolfs verlassen.«
Bernie zog ein paar falsche Schlüsse. »Ja … aber das ist eine lange Geschichte. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich das Cluviel Dor auf diese Weise benutze. Er fand, ich sollte es zu …«
»… zu seinem Vorteil benutzen.« Sie beendete meinen Satz für mich – etwas, das ich überhaupt nicht ausstehen kann.
Aber sie hatte recht.
Sie rieb sich forsch die Hände. »Sam ist also am Leben, du hast keinen Freund mehr, und Jannalynn ist tot.«
»So könnte man’s zusammenfassen«, gab ich zu. »Obwohl die Sache mit meinem Freund irgendwie noch schwelt.« Ich hatte es wahrscheinlich eher schon mit Asche als mit schwelendem Feuer zu tun, aber das würde ich Bernie nicht auf die Nase binden.
Bernie sah auf ihre Hände hinab, mit undurchdringlicher Miene, und dachte nach. Dann
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