Vampirmelodie
musste. Beth Osiecki hatte mein Testament aufgesetzt, und ich hatte sie sehr sympathisch gefunden. Ihr Kanzleipartner Jarrell Hilburn hatte das Dokument vorbereitet, mit dem ich Sam offiziell ein Darlehen gegeben hatte, um das Geschäft über Wasser zu halten, und er hatte auch den Papierkram für meine Teilhaberschaft am Merlotte’s erledigt.
Dann war da noch Desmond Cataliades, der sehr effektiv war und ein persönliches Interesse an mir hatte, da er und mein biologischer Großvater beste Freunde gewesen waren. Doch er lebte in New Orleans, und seine Kanzlei war immer ausgelastet, weil er sowohl in den Gesetzen der Suprawelt als auch in denen Amerikas bewandert war. Ich wusste nicht, ob der Halbdämon in der Lage oder bereit wäre, mir zu Hilfe zu eilen. Seine E-Mail war freundlich gewesen, und er hatte davon gesprochen, mich besuchen zu kommen. Aber sein Honorar würde mich wahrscheinlich Kopf und Kragen kosten (nicht im wörtlichen Sinne).
Ich dachte an den letzten Auszug, den ich über mein Sparkonto bekommen hatte. Nach den zehntausend Dollar, die ich ins Merlotte’s gesteckt hatte, blieben mir noch um die dreitausend von dem Geld, das ich bei den Vampiren verdient hatte. Ich hatte gerade eine ganze Menge Geld geerbt – 150 000 Dollar – von meinem Elfenschutzengel Claudine, und man sollte meinen, dass ich ziemlich gut ausgestattet war. Doch die Bank, die den Scheck ausgestellt hatte, war von der Regierung von Louisiana plötzlich unter verschärfte Beobachtung gestellt worden, und alle ihre Schecks waren eingefroren. Ich hatte extra bei meiner Bank angerufen, um zu erfahren, was los war. Mein Geld war da … aber ich konnte nicht darauf zugreifen. Alles höchst verdächtig, fand ich.
Aber vielleicht würde die Polizei in der Zwischenzeit ja noch einen anderen Verdächtigen finden und ihn verhaften. Vielleicht würde ich gar keinen Anwalt brauchen.
Ich schrieb Erics Mann für tagsüber, Mustapha Khan, eine SMS. »Karin hat hoffentlich Zeit, der Polizei zu erzählen, dass sie mich gestern Nacht besucht hat und ich die ganze Zeit zu Hause war«, tippte ich und schickte sieab, ehe mich irgendein unvorhergesehenes Geschehen davon abhalten konnte. Das war deutlich genug, und ich hoffte, dass Karin die Nachricht erreichte.
»Sookie«, sagte Alcee Beck, und seine tiefe Stimme klang wie die Stimme des Schicksals. »Sie sollten besser keinem erzählen, was hier vor sich geht.« Ich hatte ihn überhaupt nicht kommen hören, so sehr war ich in meine sorgenvollen Gedanken verstrickt gewesen.
»Tu ich nicht«, erwiderte ich aufrichtig. Das war, was ich die Aufrichtigkeit der Elfen nannte. Die Elfen logen nicht geradeheraus, doch sie konnten eine so verworrene Version der Wahrheit erzählen, dass man einen völlig falschen Eindruck bekam. Ich sah ihm in die dunklen Augen, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Ich hatte schon weitaus furchterregenderen Geschöpfen gegenübergestanden als Alcee Beck.
»Okay«, sagte er skeptisch und ging weg, bis ans andere Ende des Parkplatzes rüber zu seinem Auto, das im Schatten eines Baums stand und durch dessen offenes Seitenfenster er hineingriff. Als er auf dem Weg zurück ins Merlotte’s seine Sonnenbrille aufsetzte, meinte ich, in dem Wäldchen hinter seinem Auto eine schnelle Bewegung wahrzunehmen. Seltsam. Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, sah noch einmal hin – und sah nichts, nicht einmal den Hauch einer Bewegung.
Sam holte uns zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank des Wohnwagens. Dankbar öffnete ich meine und trank, und dann hielt ich die kühle Flasche an meinen Hals. Es fühlte sich wundervoll an.
»Eric hat mich gestern Nacht besucht«, sagte ich ohne bestimmte Absicht. Sams Hände hielten abrupt inne. Ich bemühte mich, ihm nicht ins Gesicht zu sehen. »Ich bin vorher zu ihm ins Fangtasia gefahren, doch er wollte nicht mit mir reden, als ich dort war. Es war unglaublich demütigend.Und gestern Nacht ist er fünf Minuten geblieben, höchstens. Er sagte, er dürfe nicht mal da sein. Und außerdem müsse ich es geheim halten.«
»Was zum Teufel …? Warum denn?«
»Wegen irgendwelcher Vampirangelegenheiten. Das werde ich noch früh genug herausfinden. Der Punkt ist, er hat Karin bei mir gelassen. Sie ist sein anderes Geschöpf, sein älteres. Sie sollte mich beschützen, aber ich glaube nicht, dass Eric damit gerechnet hat, dass so etwas passiert. Er dachte wohl, dass irgendwer versuchen könnte, sich ins Haus zu schleichen. Aber
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